Lyonesse 2 - Die grüne Perle
unserem gemeinsamen Vorteil«, sagte König Casmir. »So wirst du keine Vorurteile gegen ihn haben. Wärter, schließt die Ketten auf, so daß Torqual bequem sitzen kann; sodann wartet draußen auf dem Gang. Oldebor, du kannst auch draußen warten.«
»Eure Majestät«, protestierte Oldebor, »bedenkt, dieser Mann ist verzweifelt; er ist skrupellos und hat nichts zu verlieren!«
König Casmir lächelte ein mattes eisiges Lächeln. »Deshalb ist er hier. Wart auf dem Gang! Shalles ist sehr wohl in der Lage, mich zu beschützen.«
Während Shalles einen skeptischen Seitenblick auf den Gefangenen warf, lösten die Kerkerwärter die Ketten; dann zogen sie sich im Verein mit Oldebor auf den Gang zurück.
König Casmir deutete auf Holzbänke. »Nehmt Platz, meine Herren! Darf ich euch Wein anbieten?«
Sowohl Torqual als auch Shalles nahmen das Angebot an und ließen sich nieder.
Casmir blickte zwischen den beiden hin und her, dann sprach er: »Ihr seid Männer von verschiedener Art, soviel steht fest. Shalles ist der vierte Sohn des ehrenwerten Ritters Sir Pellent-Overtree, dessen Grundbesitz drei Güter von insgesamt dreiundsechzig Morgen umfaßt. Shalles hat die Feinheiten des noblen Benehmens ebenso gelernt wie den Geschmack für gutes Essen und Wein, aber bisher hat er keine Mittel gefunden, seinen Gelüsten zu frönen. Torqual, von dir weiß ich wenig, aber ich erführe gern mehr. Vielleicht möchtest du uns etwas von dir erzählen.«
»Mit Vergnügen«, sagte Torqual. »Zunächst einmal bin ich Mitglied einer Klasse, welche nur ein einziges Individuum enthält: mich. Mein Vater ist ein Herzog von Skaghane; mein Geschlecht ist älter als die Geschichte der Älteren Inseln. Was meinen Geschmack betrifft, so bin ich, wie Sir Shalles, wählerisch; ich will stets nur das Feinste. Wenngleich ich ein Ska bin, mache ich mir nichts aus der Ska-Mystik. 8 Ich habe oft in wilder Ehe mit Weibern aus dem einfachen Volk zusammengelebt und ein Dutzend Bastarde gezeugt; deshalb schimpfen sie mich einen Abtrünnigen.
Die Bezeichnung ist ungenau und zudem unverdient. Ich kann nicht treulos gegenüber einer Sache sein, die ich niemals gutgeheißen habe. Absolut treu bin ich nur einer Sache gegenüber, der einzigen Sache, für die ich eintrete, nämlich meinem eigenen Wohlergehen. Auf diese unverbrüchliche Ergebenheit bin ich stolz!
Ich ging früh von Skaghane fort, ausgestattet mit mehreren Vorzügen: der Kraft, Energie und Intelligenz des typischen Ska, welche mir durch die Geburt verliehen waren; und der meisterhaften Beherrschung von Waffen, welche ich mir selbst angeeignet habe. Es gibt nur wenige, wenn überhaupt, die mich übertreffen können, besonders mit dem Schwert.
Da es mir an der nötigen Lust gebrach, mich in der Hierarchie der Ska hochzudienen, ich aber auf einen vornehmen Lebensstil keinesfalls verzichten wollte, wurde ich Räuber; ich raubte und mordete so gut wie nur einer. Da es jedoch in den Ulflanden nur wenig Reichtum zu ergattern gibt, kam ich nach Lyonesse.
Meine Pläne waren schlicht und naiv. Sobald ich genug Gold und Silber zusammengeraubt hätte, um einen Karren damit zu füllen, wollte ich mich als Räuberbaron im Teach tac Teach niederlassen und ein Leben in Ruhe und Abgeschiedenheit führen.
Durch eine Grille des Schicksals ging ich Euren Diebeshäschern in die Falle. Und nun warte ich darauf, gestreckt und gevierteilt zu werden, wenngleich ich gern bereit bin, jedwedes andere Programm in Betracht zu ziehen, welches Eure Majestät vorzuschlagen für geeignet hält.«
»Hm«, sagte König Casmir, »deine Hinrichtung ist auf den morgigen Tag festgelegt?«
»Soweit ich weiß: ja.«
Casmir nickte und wandte sich Shalles zu. »Was hältst du von diesem Burschen?«
Shalles musterte Torqual verstohlen. »Offensichtlich ist er ein Schuft von der übelsten Sorte, mit dem Gewissen eines Haifischs. Er hat nichts mehr zu verlieren und fühlt sich daher frei, seine Unbekümmertheit offen zur Schau zu stellen.«
»Welchen Glauben würdest du in sein Wort setzen?«
Shalles legte skeptisch den Kopf schief. »Das hängt davon ab, in welchem Maße seine Selbstwertschätzung mit seiner Pflichttreue im Einklang steht. Ich bin sicher, das Wort ›Ehre‹ hat für ihn eine gänzlich andere Bedeutung als für mich oder für Euch. Ich würde ihm eher auf der Grundlage eines exakt festgelegten Belohnungssystems trauen. Gleichwohl könnte Torqual, und sei es auch nur aus reiner Launenhaftigkeit heraus, Euch
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