Lyonesse 2 - Die grüne Perle
rechts schauend, und die Lakaien, die entlang der Großen Halle auf ihrem Posten standen, fuhren in Hab-Acht-Stellung hastig hoch, wohl wissend, daß der scheinbar abwesende Blick jener runden blauen Augen in Wahrheit jede Einzelheit genau erfaßte.
König Casmir betrat die Ehrenhalle, einen riesengroßen hohen Saal, der ausschließlich Staatsangelegenheiten von höchster Förmlichkeit vorbehalten war und wohin König Casmir den Thron Evandig und den Tisch Cairbra an Meadhan zurückzuschaffen gelobt hatte. In Ermangelung des begehrten Thrones Evandig hatte König Casmir seinen eigenen zeremoniellen Thron in die Ehrenhalle gestellt; überdies beherbergte sie einen langen Mitteltisch sowie – entlang den Wänden aufgerichtet – vierundfünfzig schwere Stühle, welche die vierundfünfzig Adelshäuser Lyonesses repräsentierten.
Zu seinem Verdruß fand König Casmir, als er in die Ehrenhalle trat, die Prinzessin Madouc dort allein zwischen den Stühlen herumtollend vor. Sie hüpfte von einem Stuhl zum andern, balancierte halsbrecherisch auf den Lehnen, kroch unter den Beinen hindurch, so sehr in ihr Spiel vertieft, daß sie des Königs Gegenwart zuerst gar nicht bemerkte.
Casmir beobachtete sie eine Weile. Ein sonderbares Kind, dachte er, eigensinnig bis zur Halsstarrigkeit. Sie weinte nie; nur manchmal, wenn jemand es wagte, ihr in die Quere zu kommen, stieß sie kleine wütende Schluchzer aus. Wie verschieden und wie ähnlich zugleich sich doch Madouc und ihre Mutter Suldrun waren (so sah es Casmir), hinter deren verträumter Fügsamkeit sich eine unbeugsame Halsstarrigkeit, ebenso hart wie die seine, verborgen hatte.
Als Madouc schließlich Casmirs kalten mißbilligenden Blick gewahrte, hielt sie in ihren Possen inne. Sie wandte sich zu Casmir um und betrachtete ihn mit einer Miene, in der sich milde Neugier mit Mißvergnügen ob seines unpassenden und taktlosen Eindringens in ihre Privatsphäre mischten. Wie weiland Prinzessin Suldrun betrachtete Madouc diesen Raum als ihr persönliches Reich.
Casmir schritt langsam weiter in den Raum hinein, wobei er seinen gestrengen, durchdringenden Blick ungemildert auf ihr haften ließ, um dem frechen kleinen Wildfang Respekt einzujagen. Madoucs Blick fiel auf den ausgestopften Vogel, den Casmir bei sich trug. Und wenngleich sie weder kicherte noch lächelte, wußte Casmir, daß sie sich über den Anblick amüsierte, den er abgab.
Madouc, sowohl des Vogels als auch Casmirs schließlich überdrüssig werdend, wandte sich wieder ihrem Spiel zu. Sie sprang von der Lehne des einen Stuhls auf die Lehne des nächsten, dann schaute sie sich um, um zu sehen, ob Casmir immer noch im Raum weilte.
Casmir blieb bei dem großen langen Tisch stehen. Er sprach mit ruhiger Stimme, die, von den steinernen Wänden des Raumes widerhallend, gleichwohl einen harten schnarrenden Klang anzunehmen schien. »Prinzessin, was tust du hier?«
Madouc erteilte Casmir die Auskunft, die er zu verlangen schien. »Ich spiele auf den Stühlen.«
»Dies ist nicht der rechte Ort für dein Spiel. Geh woanders spielen.«
Madouc sprang von dem Stuhl herunter und tollte hüpfend und schlitternd hinaus. Ohne sich noch einmal umzublicken, entschwand sie.
Casmir trug den Vogel um den Großen Thron von Haidion herum zur rückwärtigen Wand des Saales und schlüpfte durch die Vorhänge hindurch in eine angrenzende Rumpelkammer. Dort hantierte er am Schloß einer Geheimtür. Die Tür schwang weit auf und gestattete Casmir den Zugang zu jenem Raum, wo er seine magischen Geräte aufbewahrte. Das wertvollste seiner magischen Stücke, der Zauberspiegel Persilian, war seit fünf Jahren unauffindbar verloren, und bis zum heutigen Tag zerbrach sich Casmir den Kopf darüber, wie der Spiegel hatte entfernt werden können und vor allem: wer es gewesen war. Seiner Kenntnis nach wußte niemand außer ihm selbst von der Existenz der geheimen Kammer. Er wäre nicht übel erstaunt gewesen, hätte er die Wahrheit erfahren: daß nämlich die Übeltäter Prinzessin Suldrun und ihr Geliebter Aillas (damals noch Prinz von Troicinet) waren und daß sie Persilian auf sein – des Magischen Spiegels – eigenes Geheiß hin fortgenommen hatten.
Casmir ließ den Blick prüfend durch den Raum schweifen, um sich zu vergewissern, ob nicht noch weitere von seinen magischen Gegenständen verschwunden waren. Alles schien in Ordnung und an seinem Platze. Eine Kugel aus wirbelnden grünen und purpurfarbenen Flammen erleuchtete den Raum. Ein
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