Lyonesse 2 - Die grüne Perle
»Sir Shalles, ich sehe, Ihr habt eine weite beschwerliche Reise hinter Euch; was habt Ihr mir zu berichten?«
Ermutigt ob der höflichen Anrede, von der der König Gebrauch gemacht hatte, nahm Shalles, der auf der äußersten Kante des Stuhls gesessen hatte, eine etwas entspanntere Haltung ein. Er bedachte seine Worte sorgfältig, konnten sie ihm entweder sehr wohl ein Vermögen einbringen oder aber gar nichts, wenn es ihm mißriet, König Casmirs Beifall zu finden. »Im großen und ganzen, Herr, kann ich wohl nicht mit einer Fülle guter Nachrichten aufwarten. König Aillas hat mit Entschiedenheit und gutem Erfolg gehandelt. Er hat es verstanden, seine Widersacher aus dem Gleichgewicht zu bringen und ihnen die Grundlage für Auflehnung zu versagen. Er ist beliebt beim gemeinen Volk und auch beim Adel der Niedermoore und der Küstenregion, welche Ordnung und Wohlstand höher schätzen denn ein uneingeschränktes Vorrecht, welches sie ohnedies nie besaßen.«
»Gab es meßbaren Widerstand gegen den fremdländischen König?«
»Das wohl bemerkenswerteste Exempel ist das des Sir Hune von Dreikiefern. Er verstieß offen gegen die neuen Gesetze; er hatte die Tat kaum begangen, da lag seine Burg schon in Trümmern, und er selbst baumelte hoch oben am Galgen. Das ist eine Sprache, die die Ulf verstehen.«
Casmir gab ein mürrisches Grunzen von sich. Shalles fuhr fort:»Aillas entdeckt ein Dreikiefern volle Kerker. Er berief ein Konklave ein, auf welchem er private Justiz ächtete und alle Verliese im Lande leerte. Im großen und ganzen stieß dieses sein Edikt auf Zustimmung, da die Barone nichts mehr fürchten als die Verliese ihrer Feinde, wo sie, so sie gefangengenommen werden, für die Sünden ihrer Großväter bestraft werden.
Beim Räumen der Kerker beschlagnahmte Aillas ihr gesamtes Zubehör. Wie ich hörte, konfiszierte er vierzig Streckbänke, sieben Tonnen Werkzeug und hundert Folterknechte. Letztere bilden jetzt eine Spezialeinheit in der königlichen Armee. Ihre Wangen sind schwarz tätowiert; ihre Uniformen sind schwarz und gelb, und sie tragen schwarze ›Tollhundshelme‹. Sie werden als Parias betrachtet und sind getrennt von den anderen Truppenteilen untergebracht.«
»Bah!« stieß Casmir hervor. »Wie zartfühlend dieser Muttersöhnchen-König doch zu sein scheint! Was noch?«
»Ich werde jetzt einen Bericht über meine eigenen Aktivitäten geben. Sie waren sorgfältig, gefährlich und beklagenswert unerfreulich.« Mit etwas gekünsteltem Enthusiasmus angesichts von König Casmirs teilnahmslos starrem Blick beschrieb Shalles die Fülle seines Wirkens und vergaß nicht, die Gefahren zu erwähnen, denen er fast täglich ausgesetzt gewesen war. »Und als ein Preis auf meinen Kopf ausgesetzt wurde, beschloß ich schließlich, daß ich nichts mehr tun konnte. Meine Verleumdungen und Ehrabschneidungen waren zwar stets populär, wurden aber nie erhärtet und blieben ohne dauerhafte Wirkung. Im Verlauf meines Wirkens stieß ich auf ein bemerkenswertes Faktum, nämlich: die feste, reine, bare, törichte Wahrheit wirkt überzeugender als die bezauberndsten Lügen, auch wenn die letzteren mitunter größere Verbreitung erlangen. Dennoch war ich dermaßen lästig, daß Aillas mit Macht versuchte, meiner habhaft zu werden, und ich war in beständiger Gefahr, erwischt zu werden, und entging ihm oft genug nur mit knappster Not.«
Mit verhüllten Augen und denkbar sanftester Stimme frug König Casmir: »Und was, vermutet Ihr, wäre Euer Schicksal gewesen, wäret Ihr ergriffen worden?«
Shalles' Feingefühl war von höchster Schärfe. Nach einem winzigen, kaum wahrnehmbaren Zögern erwiderte er: »Das ist schwer zu sagen. Aillas ließ das Gerücht verbreiten, mir das Doppelte von Eurem Sold anbieten zu wollen, sollte ich in seine Dienste überlaufen. Damit, so vermute ich, verfolgte er lediglich die Absicht, meinen Ruf herabzusetzen, und das Manöver erfüllte in der Tat seinen Zweck, dergestalt, daß meine Glaubwürdigkeit so gut wie zunichte gemacht wurde.«
Casmir nickte gedankenschwer. »Das Gerücht von diesem Angebot erreichte mich ebenfalls, aus anderen Quellen. Was ist mit Torqual?«
Shalles hielt inne, um seine Gedanken zu sammeln. »Ich habe Torqual verschiedene Male gesehen, wenngleich nicht so oft, wie ich wünschte. Er geht seinen Weg ohne Rücksicht auf meine Ratschläge, aber er scheint Euren Interessen zu dienen. Er ist unersättlich in seinem Verlangen nach Gold, damit er seine Macht vermehren
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