Lyonesse 2 - Die grüne Perle
Kobold in einer Flasche glotzte ihn finster an und klopfte mit den Fingernägeln an das Glas, um Casmirs Aufmerksamkeit zu gewinnen. Auf einem Tisch ruhte ein Gegenstand von astronomischer Bedeutung, ein Geschenk von Königin Dido von Karthago an einen von Casmirs Vorfahren; und wie immer beugte sich Casmir hinunter, um das Instrument zu inspizieren, das von einer verblüffenden Vieldeutigkeit war. Die Basis, auf der es ruhte, bestand aus einer kreisförmigen Elfenbeinplatte, auf deren Rand die Tierkreiszeichen aufgeprägt waren. Die goldene Kugel in der Mitte verkörperte, so hatte Casmir erfahren, die Sonne. Neun silberne Kugeln von verschiedener Größe rollten in kreisförmigen Mulden rings um das Zentrum – zu welchem Sinn und Zweck sie dies taten, war ein Geheimnis, das nur den Altvorderen bekannt war. Die dritte Kugel – vom Zentrum aus gezählt – wurde von einer kleineren begleitet und absolvierte ihre Kreisbahn in der Frist von exakt einem Jahr, was Casmir nur um so mehr verblüffte und verwirrte: Wenn der Gegenstand ein Chronometer war, dazu gemacht, die Jahre zu messen, wozu dienten dann die anderen Kugeln, von denen einige sich mit für das Auge kaum wahrnehmbarer Geschwindigkeit in ihrer Bahn bewegten? Casmir verzichtete diesmal darauf, sich in tiefschürfenden Mutmaßungen über den Sinn des Gerätes zu verlieren, und unterzog es lediglich einer oberflächlichen Besichtigung. Sodann stellte er den ausgestopften Vogel auf einen Sims und betrachtete ihn einen Moment lang. Schließlich wandte er sich ab. Bevor er eine Unterhaltung mit Tamurello in Gang setzte, mußte er sorgfältig überlegen, worüber er diskutieren wollte.
Casmir verließ die Geheimkammer, durchquerte die Ehrenhalle und trat in die Säulenhalle. Hier stieß er, wie der Zufall es wollte, auf Königin Sollace und Vater Umphred. Sie kamen gerade von einem gemeinsamen Ausflug in der königlichen Kutsche zurück, den sie zu dem Behufe unternommen hatten, mögliche Standorte für die von beiden ersehnte Kathedrale zu besichtigen.
Königin Sollace eröffnete Casmir: »Ein geeigneter Platz ist gefunden; wir haben ihn inspiziert und abgeschritten: es ist das Gelände gleich nördlich der Hafeneinfahrt!«
Begeistert fiel Vater Umphred ein: »Schon jetzt umflort eine süße Aura von Heiligkeit Eure bemerkenswerte Gattin! Zwei Standbilder, gefertigt aus unvergänglicher Bronze, sollen, so schwebt es mir vor, das große Eingangsportal flankieren: zur einen Seite der edle König Casmir, zur anderen die heiligmäßige Königin Sollace!«
»Habe ich den Plan nicht als undurchführbar verworfen?« versetzte König Casmir barsch. »Wer will derlei Unfug bezahlen?«
Vater Umphred tat einen tiefen Seufzer und richtete den Blick zur Decke. »Der Herr wird es richten.«
»Ach, tatsächlich?« frug hohnvoll der Monarch. »Wie, und in welcher Weise?«
»›Du sollst keine andren Götter haben neben mir!‹ So sprach der Herr auf dem Berge Sinai! Jeder neue Christenmensch soll gebührend für seine Jahre der Sünde büßen, indem er seinen Reichtum und seiner Hände Kraft der Errichtung eines großen Tempels weiht; auf diese Weise wird ihm der Weg ins Paradies geebnet werden.«
Casmir hob die Schultern. »Wenn es Narren gibt, die so ihr Geld verschleudern wollen, so soll das ihre Sache sein.«
Königin Sollace jauchzte in freudiger Erregung auf. »Dann haben wir deine Erlaubnis, uns ans Werk zu machen?«
»Solange ihr euch treu und peinlich an jede Maßregel des königlichen Gesetzes haltet.«
»Ah, Eure Majestät, das ist fürwahr eine glorreiche Nachricht!« jubelte Vater Umphred. »Indes, welchen Maßregeln des königlichen Gesetzes genau sind wir verpflichtet? Ich nehme doch an, daß der allgemeine Brauch hier gültig sein wird?«
»Ich bin nicht vertraut mit diesen ›allgemeinen Sitten‹ oder damit, was man landläufig ›Gewohnheitsrecht‹ heißt«, sprach König Casmir. »Die Gesetze sind klar und einfach. Erstens: Unter keinen Umständen dürfen Gelder oder andere Sachen von Wert von Lyonesse nach Rom ausgeführt werden.«
Vater Umphred zuckte zusammen und blinzelte. »Von Zeit zu Zeit ...«
König Casmir fuhr unbeirrt fort. »Jegliche Geldsummen oder andere Sachen von Wert, die von den Gläubigen eingesammelt werden, sind unverzüglich dem Kanzler des Königlichen Schatzamtes zu deklarieren, der die gebührende Steuer erheben wird, welche im voraus abgezogen werden wird. Überdies wird er die jährlich anfallende Pacht auf das Land
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