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Lyra: Roman

Lyra: Roman

Titel: Lyra: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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schattenhafte Silhouette des Hauses war wie eine finstere Gestalt in der grünen Landschaft, ein uraltes Wesen, dessen Haupt den grauen Himmel berührte. Mehr noch als früher erinnerte es Danny an etwas, was man in den schwarz-weißen Filmen Alfred Hitchcocks oder den düsteren Büchern einer Daphne du Maurier findet.
    Das Haus versteckte sich nicht schüchtern in den Hügeln, wie andere Häuser es taten. Hoch aufgerichtet stand Ravenscraig da und zeigte der Welt, dass es da war.
    Nichts, aber auch gar nichts hatte sich verändert, seit Danny das letzte Mal dort gewesen war.
    Noch immer führte der wie vor Schmerzen gekrümmte Weg durch das große eiserne Tor mit den geschmiedeten Gesichtern, noch immer flankierten die mächtigen Eichen und vom Wind misshandelten Ulmen die Einfahrt, noch immer rankte sich wild wuchernder Efeu an den Wänden empor, und noch immer spähten die Schatten aus den vielen Fenstern.
    »Sunny!«, schrie er in die Gegend hinein, die unmöglich die Rhinns of Galloway sein konnten.
    Und doch...
    Da, vor ihm, war eine Wiese. Sie begann direkt hinter der Tür. Er kannte diese Wiese.
    Er rieb sich die Augen. Seine Hände zitterten.
    »Okay«, murmelte er und betrat das Zimmer.
    Ein Sog zog ihn auf das Gemäuer zu und dann mitten hinein. Es war wie im Film, wenn die Kamera durch die Gegend rast, gesteuert von unsichtbarer Hand, und die Welt zu einem einzigen Zoom gerät.
    Er spürte, dass er eine Gänsehaut bekam, je tiefer er ins Innere vordrang.
    Nicht einmal der Geruch hatte sich verändert, nein, kaum zu glauben war das, nach all den Jahren nicht. Es roch noch immer nach einer Mischung aus Holz und Teppich und Ölgemälden, ein Geruch, so schwer wie die Bilderrahmen, die wie Mauern einfassten, was Archibald Darcy, sein bescheuerter Vater, als atmende Szenen der Natur bezeichnet hatte.
    »Fuck!«, sagte er laut. Dann schloss er die Augen. Trat einen Schritt zurück. Noch einen, wieder und wieder. Schwindel erfasste ihn. Er öffnete die Augen.
    »Danny!« Der Schrei kam jetzt aus einem anderen Zimmer. Sie spielen ihr Spiel mit mir. Er stand jetzt wieder in dem Korridor. Wirklich nur ein Spiel?
    Er erinnerte sich an das, was ihm Mr. Jones erzählt hatte.
    Man sagt, dass jedes Zimmer im Maison Rouge aus der Furcht eines Menschen geboren wurde. Fuck!
    Fluchen half nicht viel, das war klar.
    »Sunny!« Seine Stimme wurde zu einem Kreischen. Sie überschlug sich, wirr und brüchig.
    Er knallte die Tür zu.
    Rannte weiter zur nächsten.
    Öffnete sie.
    »Mein Gott, Sunny!«
    Sie konnte ihn sehen.
    Und er konnte sie sehen.
    Ein helles Kostüm trug sie, keine Jeans mehr. Ein großer Hut ließ ihre Augen im Schatten verschwinden. Ihr Mund war sinnlich und verletzlich und voller Furcht und so rot.
    Da war ein Nachtclub in Aufruhr.
    Soldaten in Nazi-Uniformen zerrten sie zum Ausgang. Gendarme beruhigten die Massen. Eine Frau, die Corinna Mura hieß, daran konnte sich Danny erinnern, spielte auf der Gitarre und sang dazu die Marseillaise. Und in der Rolle, die Ingrid Bergmann berühmt gemacht hatte, jener Rolle, die Schauspielerinnen wie Hedy Lamarr, Vera Zorina oder Ann Sheridan hätten spielen sollen, in dieser Rolle war nun Suzanna Darcy gelängen.
    Kein Zweifel.
    Dies war Casablanca.
    Everybody comes to Rick 's.
    Alles war schwarz-weiß, grobkörnig, flackerte ein wenig.
    Doch, nein, halt, verbesserte er sich, es war nicht Casablanca, es war wie die Kulisse des Films. Eine Welt in den Warner Brothers Studios. Wände aus Holz, für die Aufnahmen präpariert. Eine Traumwelt, real und doch wieder nicht, mit einem Ton, der knisterte.
    Rick 's Café Americain.
    Danny sah Soldaten, die Sunny in einen Wagen zerrten.
    Sie schrie und trat um sich und streckte die Hände nach ihm aus.
    Er konnte Major Strasser erkennen.
    Das Adlergesicht gehörte dem Schauspieler Conrad Veidt, und er bellte seine Befehle in die Menge. Sie brachten Sunny fort. Verdammt, nein! Sie brachten sie fort! »Nein!«, schrie Danny.
    Und betrat endgültig den Raum. Er spürte die Gegenwart seiner Frau, sie war hier, irgendwo. Über ihm, an der Decke, brannten Studioscheinwerfer.
    Danny bahnte sich einen Weg durch die Menge.
    Überall Schreie, Tumult, Unruhe. Furcht wehte im Wind der Ventilatoren in alle Richtungen.
    Der Nachtclub war voll, und es gab kaum ein Durchkommen. Die Gäste, alle panisch, weil Schüsse fielen, strömten den Ausgängen entgegen.
    Nein! O nein!
    Verdammt!
    Das durfte er nicht zulassen.
    Er war jetzt in der

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