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Lyra: Roman

Lyra: Roman

Titel: Lyra: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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noch lebten, weil jemand die Erinnerung an sie in seinem Herzen trug, und den Toten, die ein Bild des Jammers und des Zerfalls waren, weil sie in der Welt da oben vergessen worden waren.
    »Schließlich fand er Eurydike.«
    »Ja, sie fielen einander in die Arme.«
    Überglücklich bedeckte er ihr Gesicht mit Küssen.
    »Es war wahre Liebe.« Erneut warf Madame Cacaelia einen Blick auf Sunny, der Danny gar nicht gefiel.
    Madame Cal fuhr fort: »Sie flohen, doch war Hades, der Gott dieser Unterwelt, ihnen mit seinen Häschern dicht auf den Fersen.«
    »Also sang Orpheus.«
    Und er spielte auf der Lyra.
    Er sang, wie kein Mensch vor ihm je gesungen hatte.
    »Und die Hölle wurde zu einem Ort, an dem Tränen der Freude vergossen wurden.« Hades ließ ihn gehen, doch dann beging Orpheus einen Fehler. »Einen fatalen Fehler.« »Typisch menschlich.«
    Madame Cal brachte es auf den Punkt: »Er schaute zurück.«
    »Niemand«, sagte Madame Cacaelia, »der die Unterwelt betreten hat und sie wieder verlassen will, darf jemals zurückschauen.«
    »Die Strafe, die ihn traf, hätte härter nicht sein können.«
    Eurydike musste in der Unterwelt bleiben, und Orpheus kehrte allein nach Arkadien zurück.
    »Er war untröstlich.«
    Und als er nicht lange nach seinem Ausflug in die Abgründe der Welt von eigener Hand starb, weil er bei seiner geliebten Eurydike sein wollte, da nahm Hermes die Lyra an sich und versetzte sie hoch hinauf an den Himmel, denn Hermes hatte gesehen, wie die Lyra nur Unglück über die Menschen gebracht hatte.
    »Sie wurde, so sagt man, zu einem Sternbild, das man in den Nächten noch immer dort oben erkennen kann.«
    »Ja, ja«, seufzte Madame Cal. »Orpheus' Fehler war es, sich nur auf die Lyra zu verlassen. Das tun die Menschen immer. Sie gelangen in den Besitz eines magischen Gegenstandes, aber sie sehen nicht, dass die Magie eigentlich tief in ihnen selbst lebt.«
    »Kein Gegenstand kann jemals vollbringen, was nicht tief in den Menschen selbst verborgen ist.«
    Danny kaute auf einem Stück Fleisch herum. Es schmeckte wie Hühnchen, nur anders.
    »Das ist Alligator«, erklärte ihm Madame Cal.
    Er schluckte. »Interessant«, war alles, was er dazu über die Lippen brachte.
    »Was haben wir damit zu tun? Mit Orpheus und der Lyra?«, fragte Sunny.
    »Warten Sie nur ab.«
    »Gleich kommen wir darauf zu sprechen.«
    »Auch wir«, sagte Madame Cal, »lebten damals in Arkadien, damals, bevor alle Geschöpfe von dort vertrieben wurden und das Gebirge, das unser Land umschloss, hoch und kalt und schneebedeckt wurde.«
    »Als Orpheus sich das Leben genommen hatte«, übernahm Madame Cacaelia die Erzählung, »da suchte eine Sirene namens Ligeia den Gott Hermes auf und bat ihn, ihr die Lyra zu überlassen.«
    »Weswegen wollte sie die Lyra haben?« Danny suchte nach einem Haken an der Geschichte.
    »Um das zu verstehen«, fuhr Madame Cal fort, »müssen Sie wissen, wer die Sirenen waren.«
    »Wir waren ein Volk von Sklaven, damals.« Madame Cacaelia legte das Besteck beiseite und tupfte sich den Mund mit der Serviette ab. »Die Musen waren unsere Herrinnen. Sie waren schön und stolz. Alle zehn Jahre fand ein Wettstreit statt, wer schöner zu singen vermochte. Es gab immer einige unter den Sirenen, die bei diesem Wettstreit antraten.«
    »Doch immer unterlagen sie den Musen.«
    Madame Cacaelia nickte traurig. »Die Unterlegenen mussten am Meer leben und die Seefahrer betören. Das war die Strafe. Und gelang es einem von ihnen, sie zu passieren, ohne den Verlockungen ihres Gesangs zu erliegen, so mussten die Sirenen sich an seiner statt ins Meer stürzen und ertrinken.«
    »Sie wollten die Lyra, um im Wettstreit anzutreten?«
    »Sie haben es erfasst.«
    »Immer hofften wir, dass uns eine Befreiung aus der Knechtschaft gelänge, wenn wir im Besitz der Lyra wären.« Madame Cal seufzte lang und melancholisch. »Wir baten Persephone um Rat, doch als sie von Hades entführt wurde, erlosch auch dieser Hoffnungsfunke.«
    wir lebten also weiterhin in Knechtschaft, bis die alten Götter Arkadien den Rücken kehrten. Auch die Musen verließen ihre alte Welt. Sie gingen in die großen Städte, wo sie neue Verbündete fanden. Rom, Alexandria, Konstantinopel. Später gingen sie nach Paris, London und New York. Einige von ihnen arbeiten heute sogar in Bollywood, ja, sogar dort.«
    »Nicht zu vergessen Las Vegas.«
    Beide schüttelten angewidert die Häupter.
    »Wie auch immer«, sagte Madame Cal, »wir Sirenen blieben zurück.

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