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Lyra: Roman

Lyra: Roman

Titel: Lyra: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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ein Glutofen, das Leben verbrannt. Der Wind ließ die Sandkörner tanzen, so dass man glaubte, der Boden selbst wäre lebendig.
    Die Zeit tropfte wie Schweißperlen auf die Tage, die endlos waren. Im Herzen verdorrte ihm ein Bild, das er hütete wie die Wasserflaschen, die vorn am Sattel hingen.
    Ein Traum hatte ihm ein Bild gemalt, und er hatte das Gift der Hoffnung getrunken, wie ein Säufer den Fusel im Saloon hinunterkippt, und noch immer glühte ihm die Kehle davon.
    Jahre lag das nun zurück. Er war ein junger Mann gewesen und hatte das Abenteuer gesucht. Ja, damals hatte er die Suche begonnen, und jetzt war er hier, irgendwo mitten im Nirgendwo.
    Da, wo die Sonne den Sand küsste und brannte wie das Jüngste Gericht.
    Da, wo Blut in den Spuren anderer trocknete.
    Er flüsterte ihren Namen.
    Sunny!
    Ihretwegen war er hier, in dieser Welt, die nicht Traum und nicht Wirklichkeit war, sondern nur ein weiter Raum in einem Haus, irgendwo in einem fernen Sumpf.
    Er setzte Schritt vor Schritt.
    Immer weiter.
    Die Straße endete niemals, nicht für ihn. Blickte er zurück, dann sah er, was einmal gewesen war. Er sah einen jungen Revolvermann, der mutig voranritt, dem Sonnenuntergang entgegen, ein Ziel im Herzen und das Gesicht einer Frau auf die Augen gemalt.
    Er hatte Länder durchquert, die Ruinen waren, und Gebiete, in denen nichts mehr lebte. Er war älter geworden, doch war ihm das nicht wichtig. Es war einfach geschehen.
    Und er war immer noch auf der Suche.
    Fiebernd.
    Er erreichte eine Stadt. Sie war schmutzig, wie die meisten Städte im Grenzland jenseits des Rio Bravo. Manchmal kamen Gaukler hierher, Bandidos mit Absichten, Zirkusleute mit Zelten. Sie nagelten Plakate an die Wände der hölzernen Häuser. Buntes Papier, das Sensationen verhieß, von protzigen Buchstaben angekündigt.
    Genauso sah es aus, jenes Bild in seinem Herzen. Eine Frau, ein Kind, dahinter nichts als brennende Verheißung, vielleicht gar Erlösung. Sie trug bunte Kleider, und ihr Lachen war Musik, die den Himmel zum Kuss auf die Erde zog. Da war ein Instrument, Saiten, gespannt auf einen geschwungenen Rahmen aus Holz.
    Die Lyra.
    War dies die Hölle?
    Er dachte an Orpheus, der tief in die Unterwelt hinabgestiegen war, um seine Frau zu retten.
    Einmal war er, in einer Stadt, die ähnlich wie diese hier gewesen war, in einem schmutzigen Zimmer erwacht, neben dem Körper einer fremden Frau, deren Namen er nicht kannte und die schlief. Er hatte das Zimmer und die Stadt noch vor Sonnenaufgang verlassen.
    War auf die Straße zurückgekehrt, jene Straße, die oft nicht mehr war als Wagenspuren im Präriegras und Felsgeröll.
    Noch viele Städte, die alle gleich gewesen waren, hatte er besucht. So viele Gesichter, Leichen, Lügen.
    Und nun?
    Die Zeit nagte an ihm.
    Wenn er die Hand ausstreckte, dann konnte er es fast berühren, jenes Bild. Aber eben nur fast. Deswegen streckte er die Hand niemals danach aus. Seine Hände, die rau und faltig waren, taten nur Dinge, die sie tun mussten. Und sie taten diese Dinge langsam, denn mit der Zeit, das wusste er, war es wie mit dem Wasser: Je hastiger man es trank, umso eher dürstete einen danach.
    Seine Hände waren nur schnell, wenn sie die Revolver an seinen Hüften weckten und singen ließen. Dann überlisteten sie die siruplahme Zeit und pflanzten Tod, wo niemand ernten würde.
    Er hasste seine Hände nicht, wenn sie das taten, aber er liebte sie auch nicht dafür. Es war, was das Leben ihnen abverlangte, hier draußen, wo jeder Weg nur überallhin führte.
    Das bin nicht ich, dachte Danny, wenn er diese Hände anschaute. Das ist ein Mann, den ich als Kind immer bewundert habe. Er war unrasiert und verschwitzt, ja, immerzu, und seine Augen waren stechend blau, ganz anders als die meinen.
    Und doch war Danny jetzt dieser Mann.
    Hier und jetzt.
    In dieser Vision, diesem Leben, dieser Welt. Diesem Universum, das sein Leben war. Diesem Traum, in dem Jahrzehnte in Sekunden tickten und Erinnerungen aus Momenten geboren wurden.
    Er akzeptierte es, denn die Gedanken, die er hatte, waren nicht seine eigenen Gedanken. Sie waren die Gedanken all jener Westernhelden, die er einsam ihres Weges hatte reiten sehen.
    Ja, er war jetzt und lange schon der Fremde.
    Ein Mythos.
    Größer als das Kino, das ihn geboren hatte.
    Danny ahnte, dass die Zeit hier drinnen eine Falle war. Er wusste nicht, wie lange er würde umherziehen müssen, und er wusste nicht, wie viel Zeit im Maison Rouge vergehen würde.
    Er dachte an

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