M: Ein Tabor Süden Roman (German Edition)
Natürlich! Sie war ihr doch von München aus gefolgt und in Starnberg vom Bahnhof bis ins Hotel. Kein Zweifel. Der Mann hatte sie geohrfeigt und ihr die Perücke vom Kopf gerissen, weil er dachte, sie würde eine geheime Versammlung stören. Geiger, fiel ihr ein, hielt sie für eine Journalistin. Wie seine Tochter. Wo war Mia?
Vor Aufregung drehte Patrizia sich im Kreis. Endlich fiel Licht in ihren Kopfkeller. Da stand sie, die Journalistin, hinter ihr auf der Toilette. Mia wollte mit ihr reden. Sie folgte ihr in deren Zimmer, das aussah wie ein gewöhnliches Einzelzimmer in einer Pension. So war es gewesen, das war die Wahrheit.
In der Küche ließ sie kaltes Wasser aus dem Hahn in ein Glas laufen und trank es in einem Zug aus. Nach einem zweiten Glas ließ sie sich außer Atem auf den grün angemalten Küchenstuhl fallen. Endlich konnte sie beweisen, dass Mia Bischof auf jeden Fall für ihren Zustand mitverantwortlich war. Kein Zweifel.
Oder?
Sie war in Mias Zimmer. Und danach? Und währenddessen? Wann hatte sie das Hotel verlassen? Wie war sie nach München gelangt? Und wie bis zur …
Keine Antworten. Nichts war klar. Der Nebel hatte sich gelichtet, aber nur im Vorgarten. Dahinter lag die Welt weiter im vollkommenen Dunkel. Kein Strahl, kein Funke, kein Mond-Auge. Alles vergeblich. So hart sie mit den Fäusten auch gegen ihren Kopf trommelte, die Stimmen aus dem Hotel waren wieder verstummt und die Gesichter so nachtschwarz wie schon den ganzen Tag über.
Am Giesinger Bahnhof stieg Süden aus dem Taxi und ging zu Fuß weiter. Nach dem Gespräch mit dem V-Mann-Führer Welthe war er kurz davor gewesen, die Polizei einzuschalten und Anzeige gegen Mia Bischof und ihren Vater wegen schwerer Körperverletzung, Freiheitsberaubung und des Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz zu erstatten. Auch wenn keine stichhaltigen Beweise vorlagen, mussten die Beamten den Anschuldigungen nachgehen, und der Wirbel, den sie dabei verursachten, würde beträchtlich sein und an die Öffentlichkeit gelangen.
Nebenbei würde Süden den Polizisten die Fotos aus Mias Wohnung präsentieren, eventuell auch der Chefredaktion des Tagesanzeigers, bei dem die Journalistin in leitender Funktion arbeitete. Für Landeskriminalamt und Verfassungsschutz wäre seine Aufdeckung einer Art rechtsradikaler Zelle in Neuhausen nach den zahlreichen Pannen bei der Fahndung nach Terroristen eine erneute fundamentale Blamage. Gleichzeitig würde der Name der Detektei Liebergesell bundesweit für Aufsehen und Anerkennung sorgen.
Alles zu früh, dachte Süden, das Gegenteil würde passieren. Die Detektei würde von den Behörden zerlegt und zerschlagen und mit Anzeigen wegen Verdunkelung, Behinderung von Ermittlungsarbeit und anderer Delikte auf dem Gebiet des Staatsschutzes überzogen werden. Wie er spätestens nach dem Anschlag auf Leonhard Kreutzer begriffen hatte, waren sie auf sich allein gestellt und würden es bis zum Ende des Falls bleiben, womöglich darüber hinaus.
Morgen wollte Süden sich Ediths Auto leihen und nach Starnberg fahren, um Mia Bischof zur Rede zu stellen, und anschließend zu jenem »Heimgarten«-Hotel auf dem Land, mit dem Siegfried Denning in irgendeiner Verbindung stand. Den Taxifahrer zu finden lautete noch immer die vordringlichste Aufgabe der Detektei und bedeutete gleichzeitig eine Versicherung gegenüber dem LKA. Das Amt war auf einen Erfolg der Suche angewiesen, da es keinerlei Handhabe besaß, offizielle Ermittler einzuschalten. V-Mann-Führer Welthe, dachte Süden, führte seit zwei Wochen einen Unsichtbaren.
An der Abzweigung zur Scharfreiterstraße, in der seine Wohnung lag, klingelte Südens Handy. Schon am Tonfall erkannte er Ediths Erschütterung. »Du musst sofort kommen. Ich bin im Büro. Wo bist du gerade? Komm schnell, bitte.«
Süden dachte an das Nächstliegende und atmete auf, als Edith Liebergesell von etwas anderem sprach. »Auf einem der Fotos, die du in der Wohnung gemacht hast, ist ein … Ich muss dir was zeigen.« Süden konnte hören, wie sie hastig rauchte. »Wann kannst du da sein?«
»In zehn Minuten, wenn ich ein Taxi kriege.«
»Beeil dich.«
Er wählte die Nummer und beschrieb seinen Standort. Erleichtert, dass es nicht um Patrizias Gesundheitszustand gegangen war, aber irritiert von Ediths ungewöhnlicher Erregung, wartete er am Straßenrand. Fünfzehn Minuten später beugte er sich neben seiner Chefin zum Computer und betrachtete das vergrößerte Foto der Gegenstände, die
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