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M: Ein Tabor Süden Roman (German Edition)

M: Ein Tabor Süden Roman (German Edition)

Titel: M: Ein Tabor Süden Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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meiste Zeit in Swingerclubs mit schamlosen Männern und hündischen Frauen.
    Die Frage an Siegfried lautete, ob er sie, obwohl sie schon achtunddreißig war, in den Stand der Mutterschaft erheben und sie von ihrem unvollkommenen Frauendasein erlösen wolle, unter dem sie so sehr litt und wofür sie sich in vielen Nächten verachtete. Sie hoffte, er würde es tun, wenn sie ihn darum bat. In der Tiefe ihres Herzens war sie davon überzeugt. Alles, was sie tun musste, war, vor ihm zu stehen und tapfer zu sein. Sie würde es sein. Deswegen befahl sie ihm mit aller Macht, zu ihr zurückzukehren, schon morgen, am besten noch heute Nacht.
    Als es hinter ihr an der Tür klopfte, hielt sie die Luft an und legte beide Hände auf ihren Bauch. Den Gedanken an ein Kind hütete sie wie ein Geheimnis.
    Die Pflicht ruft, dachte sie und wandte sich zur Tür, vor der der junge Volontär ungeduldig und ungehörig auf seine Armbanduhr zeigte.

17
    I sabel Schlegel arbeitete in einem Büro im Lehel, wo Süden sie auf dem Handy erreichte. Ihre abweisende Art überraschte ihn angesichts des Verhaltens der meisten anderen Personen in diesem Fall nicht. Aber seine Geduld begann zu schrumpfen und sein Misstrauen wuchs allmählich über ihn hinaus. Trotzdem gelang es ihm, in der Telefonzelle an der Werinherstraße den Hörer nicht allzu weit vom Ohr entfernt zu halten. Was sie nicht begreife, meinte die Architektin, die er der Stimme nach auf Anfang zwanzig schätzte, bevor er erfuhr, dass sie sechsunddreißig war, sei, wieso er, wenn es um den Taxifahrer Denning gehe, sie ausfrage und nicht ihre Freundin Mia.
    Süden erwiderte, er würde sie nicht ausfragen, sondern ihr ein paar Fragen stellen wollen. Wo da der Unterschied sei, fragte sie und erklärte zum vierten Mal, dass sie keine Zeit habe, weil sie mit ihren Kollegen bis zum Abend noch die Pläne für einen »enorm wichtigen Wettbewerb« ausarbeiten müsse. Süden bat sie um maximal eine halbe Stunde. Sie gab einen so tiefen Seufzer von sich, dass er befürchtete, sie würde auf der Stelle verzweifeln. Doch dann bestellte sie ihn mit derselben gelangweilten Stimme, mit der sie die ganze Zeit gesprochen und sich wiederholt hatte, um zwölf Uhr in ein Café am St.-Anna-Platz – verbunden mit der ausdrücklichen Bitte, pünktlich zu sein. Sie habe »zwanzig Minuten und keine einzige mehr«.
    Süden bedankte sich, hängte ein, schob hastig die Tür der ramponierten gelben Telefonzelle auf und ging mit schnellen Schritten davon.
    Er war nicht in Eile – bis zwölf hatte er noch knapp zwei Stunden Zeit –, er brauchte bloß Luft und Bewegung und Abstand von der Stimme. Wenn er Isabel Schlegel hernach traf, musste er innerhalb der kurzen Zeit alles, was sie wusste, aus ihr herauskriegen und sie gleichzeitig zu einigen unbedachten Aussagen verführen. Dabei, dachte er, durfte er sich weder von ihrer gewöhnungsbedürftigen Tonlage noch ihrem flitzenden Sprechen ablenken oder überrollen lassen.
    Seit er die Wohnung des Taxifahrers verlassen hatte, balancierte er in seiner Vorstellung über ein Seil fünf Meter über der Straße, mit verbundenen Augen, eingeschüchtert und verstummt. Er ging wie ferngelenkt und wunderte sich, dass er nicht längst abgestürzt war. Wozu der Aufwand, dachte er, wenn ihm alles, was er aus eigenem Antrieb in die Hand bekam, im nächsten Moment wieder entrissen wurde. Die Dinge, die er herausfand, zählten nicht oder waren nichts wert, weil sie kein Bild ergaben und keine Aussicht ermöglichten. Alles blieb schwarz, niemand war da und hörte zu.
    Der Überfall auf Leonhard Kreutzer kam Süden vor wie der Einschlag eines Meteoriten, der die Welt für immer verändert hatte. Eine neue Zeit war angebrochen, und er war ihr nicht gewachsen. Er war zu klein, zu alt, zu schwer, ein Dinosaurier auf tönernen Füßen; Relikt einer untergegangenen Epoche, in der nachts ein Mord geschah und tagsüber Spuren zu erkennen waren, die in eine eindeutige Richtung wiesen, und in der festgelegte Grenzen existierten. Und wer sein für ihn bestimmtes Urgebiet verließ, musste früher oder später Rechenschaft ablegen oder dafür büßen – moralisch, juristisch, auf welche Weise auch immer.
    Jedenfalls, dachte Süden, handelten alle entsprechend. Und auch wenn die einen seit jeher niemals zwangsläufig die Guten und die anderen ausschließlich die Bösen waren, sondern sich die Ränder berührten und der Glaube an einen gerechten Gott selten jemandes Handeln beeinflusste, galt

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