M: Ein Tabor Süden Roman (German Edition)
man nie wissen. Er hatte seine Phasen, dann endete ein entspannt begonnener Frühschoppen bei einem flüssigen Betthupferl um Mitternacht. »Welche anderen?«, fragte sie aus purer Verlegenheit.
»Alle, die uns nicht bezahlen.«
»Wer?«
Süden schien nicht zugehört zu haben. »Ich brauche die Nummern von Mias Vater in Starnberg und ihrer Mutter, die vielleicht in München lebt.«
Wieder verging fast eine halbe Minute, während die Detektivin dasaß und vor sich hin starrte und keinen klaren Gedanken zustande brachte. »Okay«, sagte sie. »Mach ich … Rufst du wieder an oder wie?«
»Ich bleibe dran.«
»Du bleibst dran.«
»Was ist los mit dir, Edith?«
»Nichts. Ich bin nur … Wir telefonieren hier so …«
»Wir werden weiter telefonieren. Glaubst du, wir werden abgehört?«
Was sollte sie darauf antworten? Sie sagte: »Möglich.«
»Das erspart uns doppelte Erklärungen. Außerdem wäre ich auf die richterliche Begründung gespannt. Suchst du mir die Nummern raus, bitte?«
Als wären ihre Finger klüger als ihr Kopf, tippte sie die Namen in den Computer, wechselte zum Register mit den Hotels, probierte mehrere Orte im Landkreis Starnberg aus, öffnete das Münchner Adressbuch. Derweil lehnte Süden an der Wand des Kiosks und sah Kindern und Jugendlichen zu, die aus einer Seitenstraße von einer nahen Schule kamen. Sie versammelten sich an der Bushaltestelle vor dem kleinen Lokal, zu dem der Kiosk gehörte. Ein einziges Stimmengewirr, das bei Edith Liebergesell doppelt so laut ankam. Aber sie fragte nicht nach.
»Hofhotel Geiger am See«, sagte sie und nannte ihm die Nummer. Er hatte das Handy zwischen Schulter und Ohr geklemmt und notierte die Zahl auf seinem kleinen Block. »Der Inhaber heißt Lother Geiger.«
»Dann trägt Mia Bischof den Mädchennamen ihrer Mutter«, sagte Süden.
»In München sind neun Bischof mit männlichen Vornamen gemeldet und zwei mit Frauennamen, Vera und Hedwig. Willst du alle Nummern?«
»Unbedingt.«
Nachdem er den Zettel abgerissen hatte, steckte er Block und Kugelschreiber wieder in die Tasche. »Ich habe mittags noch einen Termin.« Er wusste, sie würde keine Details verlangen. »Hängt mit meinem Termin von heute früh zusammen.«
»Aha.« Wenn er beschlossen hatte, in die Offensive zu gehen, dachte Edith Liebergesell, warum hielt er dann Informationen zurück, die sie eventuell für ihre eigene Recherchearbeit nutzen oder ihrer Mitarbeiterin Patrizia weitergeben könnte? Im nächsten Moment fiel ihr ein, dass er in eine fremde Wohnung eingebrochen war. »Sehr gut«, sagte sie. »Soll ich hier auf dich warten?«
»Sprich noch einmal mit den Kollegen von Siegfried Denning. Er hat vielleicht doch Andeutungen gemacht, die wir gebrauchen können. Und mach einen Termin mit Mia Bischof und erkläre ihr, dass wir keine Berührungsängste wegen ihrer politischen Einstellung haben, ich sowieso nicht.«
»Darüber haben wir nie gesprochen, Süden.«
»Wir hatten keinen Anlass.«
Angesichts ihres allgemeinen Verwirrungszustands tauchten sie diese Bemerkungen, die hoffentlich für eventuelle Mithörer gedacht waren, noch tiefer in ihr Gedankenmoor. Sie musste das Gespräch sofort beenden. »Du hast recht. Bis später.« Sie knallte den Hörer auf, ruckte nervös mit den Schultern und fing vor lauter Zigarettenlosigkeit an zu zittern. Nichts stimmte mehr, dachte sie. Das Knistern der unsichtbaren Lunten um sie herum, das sie seit Tagen verfolgte, hörte nicht auf.
Lothar Geiger verstand nicht, was der Mann, noch dazu ein Detektiv, von ihm wollte. Zudem empfand er den Krach im Hintergrund als unverschämt. »Was soll das, Herr … Sie suchen einen Mann, den ich nicht kenne? Oder wie?«
Süden ging auf dem Bürgersteig neben einer Hauptstraße, auf der auch Straßenbahnen fuhren. »Ihre Tochter hat Ihnen den Mann nie vorgestellt«, sagte er. »Sie wissen gar nicht, dass er verschwunden ist?«
»Wer denn? Ich bin in einer Besprechung, wir erwarten eine Gesellschaft, stehlen Sie mir nicht die Zeit, Herr …«
Süden war es egal, ob der Hotelier seinen Namen behielt. »Siegfried Denning ist sein Name.«
»Kenn ich nicht. Sind Sie Journalist? Was wollen Sie?«
»Ich bin kein Journalist, das habe ich Ihnen gesagt. Ich suche im Auftrag Ihrer Tochter einen Mann und habe …«
»Was für ein Unsinn.«
»Sie wissen davon nichts, Herr Geiger.«
»Dass meine Tochter von Ihnen einen Mann suchen lässt? Sind Sie irre? Wieso sollte sie das tun? Ich lege jetzt
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