M: Ein Tabor Süden Roman (German Edition)
kaum dämpften. Über der Eingangstür war eine Art Bullauge eingelassen.
Obwohl es sicher keine Bedeutung hatte, fand Süden die Tatsache merkwürdig, dass die Wohnungen von Siegfried Denning und der Mutter der Frau, die ihn suchen ließ, ziemlich nah beieinanderlagen. Bei den Telefonnummern, die Edith Liebergesell herausgesucht hatte, führte schon die zweite mit weiblichem Vornamen zur richtigen Person. Bis zu seinem Treffen mit der Architektin im Lehel hatte Süden noch Zeit, und da er in der Nähe war, fragte er Hedwig Bischof, ob er spontan vorbeikommen dürfe.
Sie schien sich über seinen Besuch zu freuen. Nachdem sie ihm erfolglos einen Platz angeboten hatte, ging sie zum Fenster und blieb dort stehen.
»Mia und ich«, sagte sie. »Wir sind uns nah, aber es gibt auch Dinge, da trennen uns Welten, wenn das nicht zu pathetisch klingt. Mit großen Worten muss man bei uns in der Familie aufpassen, die sind für meinen Ex-Mann reserviert.«
Für Süden war es noch zu früh, das Thema zu wechseln, die möglichen Dinge hinter den Ereignissen anzusprechen. »Ihre Tochter hat Ihnen von ihrer Beziehung mit dem Taxifahrer erzählt.«
»Ja.« Das machte Hedwig Bischof öfter: Sie sagte etwas, verstummte abrupt und redete dann weiter. Dabei ließ sie Süden nicht aus den Augen. »Zumindest hat sie erzählt, sie hätte jemanden und wäre gern mit ihm zusammen. Ein Satz, den ich noch nicht oft von ihr gehört habe. Beziehungen waren immer schwierig für sie. Für mich auch. Deswegen lebe ich seit Urzeiten allein.«
»Mit Mias Vater waren Sie nicht verheiratet.«
»Nein.« Dann: »Wir hatten den Plan, aber wir haben ihn nicht in die Tat umgesetzt. Mia war fünf, als wir aus Starnberg wegzogen, sie und ich.«
»Sie haben sich von Ihrem Freund getrennt.«
»Kann man so sagen.«
»Wollte er nicht, dass seine Tochter bei ihm bleibt?«
»Doch.« Sie nickte unmerklich. »War mir egal, ich wollte da raus. Mir gefiel das alles nicht mehr, das Ambiente, die ganze Stadt, Lothars Bekannte. Alles Leute, die Sie nicht in Ihren Vorgarten lassen würden.«
»Leute mit einer bestimmten Weltanschauung«, sagte Süden.
»Weltanschauung, Menschenanschauung. Ich hab mich nie eingemischt. Diese Leute haben mich nicht interessiert, und Lothar ließ mich in Ruhe. Solange ich mich um das Kind gekümmert und den Mund gehalten hab, war das kein Problem für ihn. Er war halt so, das muss man verstehen, geprägt vom Elternhaus, das streng war und eins mit den Machthabern damals. Lothar kam grade in die Schule, als der Krieg aus war. Von heute aus betrachtet, kommt einem das ewig her vor, ist es aber nicht. Und schauen Sie ihn sich an, er sieht nicht aus wie ein Mann, der den Zweiten Weltkrieg noch erlebt hat und sich im Bunker verstecken musste. Ich bin jünger, völlig andere Situation. Mein Elternhaus war unpolitisch, sofern man das in jener Zeit sein konnte. Aber meine Eltern haben nie heroisch von den alten Zeiten erzählt.
Ehrlich gesagt, bin ich kein politischer Mensch. Ich finde, Politik ist ein mieses Geschäft, und wenn es nicht sein muss, beschäftige ich mich nicht damit. Blind und taub bin ich allerdings auch nicht, ich sehe schon, was vor sich geht. Und wenn es vor der eigenen Haustür passiert oder sogar im eigenen Haus, muss ich natürlich reagieren. Hab ich getan. Also hab ich Mia genommen und bin nach München gezogen. Ramersdorf.
Mia ist hier in die Volksschule gegangen, später aufs Asam-Gymnasium. Sie war intelligent, strebsam, wachsam, ein gescheites Mädchen. Und sie hat sich früh für Politik interessiert. Leider hat sie zu früh geheiratet und noch dazu den falschen Mann. Ihre Entscheidung, ich hab ihr nie dreingeredet, das hat sie mir als Jugendliche verboten, und daran hab ich mich gehalten.
Eines Tages – wir hatten Streit wegen ihrer Noten und ihres Umgangs mit Typen, die sich wie Zuhälter aufgeführt haben, sie war vierzehn Jahre alt –, da sagte sie, wenn ich noch einmal versuchen würde, ihr was vorzuschreiben, würde sie abhauen und nie wiederkommen. Sie würde mich aus ihrem Leben und ihrem Gedächtnis streichen. Das waren ihre Worte. Gestrichen wäre ich dann.
Diese Vorstellung hat mich zermürbt, glauben Sie mir das? Denn ich war überzeugt, dass sie es ernst meint, brutal ernst. Sie hat immer alles ernst gemeint. Damit will ich nicht sagen, dass sie nicht fröhlich sein konnte. Zum Beispiel hat sie von Kind auf leidenschaftlich Fußball gespielt, wie ein Junge. Das war ziemlich
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