M: Ein Tabor Süden Roman (German Edition)
Maske half ihm, die Überraschung zu verbergen. »Das wissen wir«, sagte er wie gelangweilt. »Aber wir wissen nicht, woher er die schweren Verletzungen hat.«
»Von einem Einsatz.«
»Ihre Tochter ist eindeutig offener zu Ihnen als zu uns«, sagte Süden in launigem Tonfall. »Obwohl sie uns bezahlen muss.«
»Über den Einsatz weiß ich nichts Genaues. Hing wohl mit seiner Tätigkeit im … Jetzt hätte ich beinahe Milieu gesagt … Anscheinend war er für eine Gruppe seiner Gesinnungsleute, oder wie man die nennt, im Einsatz. Mia hat sich nicht weiter darüber ausgelassen, geht mich auch nichts an.«
In der mit schlichten, funktionalen Möbeln in hellen Farben eingerichteten Wohnung war es kalt geworden. Vielleicht kam es Süden nur so vor. Auf dem runden Tisch am Durchgang zur Küche lagen – das war Süden schon beim Hereinkommen aufgefallen – mehrere Ausgaben des Tagesanzeigers. »Sie verfolgen die Arbeit Ihrer Tochter jeden Tag.«
»Muss ich. Sie hat mir ein Abonnement geschenkt. Sie unterstützt mich manchmal ein wenig.«
»Finanziell.«
»Das auch. Meine Rente ist bescheiden, aber ich komm schon durch. Diesen Pullover hat sie mir gestrickt, sie ist handarbeitlich sehr geschickt. Und sie kann gut mit Kindern umgehen. Wie ich auch, wenn ich das sagen darf. Leider hat sie keine eigenen Kinder. Darunter leidet sie. Sie sagt das nicht so, aber ich weiß es. Darf ich Sie was fragen?«
»Unbedingt.«
»Hat Mia Sie und Ihre Detektei mit der Suche beauftragt, weil Sie sich politisch nahestehen? Kannten Sie Mia schon vorher?«
»Nein«, sagte Süden und zog den Reißverschluss seiner Jacke hoch. »Das war eher Zufall, dass sie auf uns gestoßen ist.«
»Aber dann ja auf die Richtigen, wie es scheint. Das freut mich. Hoffentlich finden Sie den Mann. Mia hängt an ihm. Sie bekommt immer eine ganz weiche Stimme, wenn sie von ihm spricht. So oft erzählt sie ja nicht von ihm und wenn, dann auch nur wenig. Aber ich hab ein gutes Gehör.«
»Wann hat Ihre Tochter Kontakt mit Kindern, Frau Bischof?«
»In ihrer Krabbelgruppe natürlich. Sie organisiert doch regelmäßig Treffen für Mütter aus dem Viertel und Kinderfeste. Sie betreut Kinder am Nachmittag, wenn die Eltern arbeiten müssen. Sie ist sehr familienbewusst. Die Familie, sagt sie immer, ist die Keimzelle der Gesellschaft. Sie hat viel übrig für Brauchtum und alte Tänze. Und sie schreibt regelmäßig in einer Zeitung für Kinder, ich glaub, die heißt ›Die Zwergenpost‹ oder so ähnlich. Und, wenn ich das richtig verstanden hab, hat sie eine überregionale Gruppe gegründet, in der sich einmal im Monat Frauen unterschiedlichen Alters treffen, eine Art Mädelring, wie sie immer sagt. Ich frag mich oft, wo sie die Zeit für all das hernimmt. Und wenn sie ein Kind hätte, dann würde sie das auch noch schaffen, da bin ich ganz sicher. Sie hat eine Energie und einen Stolz, meine Tochter. Beneidenswert.«
»Das war sehr dumm von dir«, sagte Lothar Geiger am Telefon. »Ich verstehe dich nicht.«
»Verzeih mir, bitte.«
»Du musst den Auftrag rückgängig machen.«
»Das geht nicht mehr.«
»Selbstverständlich geht das. Brauchst du einen Anwalt?«
»Ich regele das schon. Bitte, Vater.«
»Erst bringt uns dein Ex-Mann in die größten Schwierigkeiten und jetzt auch noch du. Hast du ihn wieder getroffen?«
»Natürlich nicht.«
»Gut. Lass uns vernünftig bleiben. Komm erst mal wie besprochen übers Wochenende raus und erhol dich. Wir haben eine Tagung hier, ein paar der Teilnehmer kennst du, alte Freunde. Wann kannst du da sein?«
»Heut Abend um acht. Ich freu mich drauf.«
»Ich auch, Liebes.«
19
S ie stand an der Bar und trank ein Glas Mineralwasser ohne Kohlensäure. In ihrer schmal geschnittenen schwarzen Hose, der taillierten weißen Bluse und dem lachsfarbenen Anorak, der vermutlich auch einem Kind gepasst hätte, sah die sechsunddreißigjährige Architektin mager und verloren aus. Nach Südens erstem Eindruck schleppte die Frau eine schwere Magersucht mit sich herum. Ihre blonden Haare hatte sie zu einem Zopf gebunden, der unter dem Kunstpelzkragen ihres Anoraks verschwand. Von den zwanzig Minuten, die sie Süden für ein Gespräch in Aussicht gestellt hatte, waren fünf bereits vergangen, als er das Café am St.-Anna-Platz betrat. Vor der Wohnung von Hedwig Bischof musste er lange auf das bestellte Taxi warten, und der Fahrer kannte dann zwar den Stadtteil Lehel, aber offensichtlich nicht die Stadt. Dafür schien er eine
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