M: Ein Tabor Süden Roman (German Edition)
Menge von anderen Autofahrern zu verstehen, die im Gegensatz zu ihm den Führerschein bei der Glücksspirale gewonnen hätten.
»Entschuldigen Sie die Verspätung«, sagte Süden.
»Ich muss gleich wieder rüber.«
Süden bestellte einen Kaffee, und als die Bedienung ihn fragte, welchen er haben wolle, sagte er: »Einen mit Koffein.« Er war nicht auf der Höhe, was die aktuelle Kaffeekultur betraf, und auch nicht in Stimmung für Diskurse zum Thema. Die rosigen, gleichmütigen Sätze der ehemaligen Kindergärtnerin färbten seine Gedanken noch immer grau.
»Wollen Sie mir keine Fragen stellen?«, sagte Isabel Schlegel.
»Wie gut kennen Sie den Lebensgefährten von Mia Bischof?«
»Lebensgefährte? Weiß nicht. Den Siegfried? Flüchtig. Wieso?«
Süden schwieg. Die Bedienung stellte seinen Kaffee mit einem Kännchen Milch auf den Tresen. Er roch den Duft. Alle Tische waren besetzt. Die Gäste – die meisten von ihnen Geschäftsleute aus der nahen Umgebung – aßen zu Mittag und unterhielten sich. Das Mobiliar bestand aus antiken Vitrinen und Schränken. Vor einer Wand standen Batterien von Weinflaschen. Das Licht war hell, aber nicht aufdringlich. Von dem Lokal ging eine Behaglichkeit aus, die Süden kaum ertrug, weil er sie unangemessen fand. Das betraf nur ihn, wie er wusste, und er sollte sich auf seine Arbeit konzentrieren und sich nicht von einer Welt ablenken lassen, die ihre Berechtigung hatte wie jede andere. Aber da waren diese wuchernde Ungeduld in ihm und die nette Stimme in der kalten Wohnung in der Balanstraße. Und jetzt geißelte die Architektin ihn mit einem Blick, als würde er ihre Zukunft verstellen.
»Wann haben Sie Herrn Denning zum letzten Mal gesehen, Frau Schlegel?«
»Den Siegfried? Muss ich nachdenken.« Tatsächlich zog sie die Stirn in Falten, was nach Südens Meinung eher genervt aussah als nachdenklich. »Ein Monat her, schätze ich.«
»Wirkte er krank?«
»Wie immer.«
Süden hatte das Bedürfnis, einen Schluck Kaffee mit Milch und Zucker zu trinken, aber er fürchtete, seine Hand würde zittern. »Er wirkte immer krank. Wie krank?«
»Ein Gaudibursch war er nicht.« Sie lächelte. Es war ein kurzes, kühles, vielleicht unbeholfenes Lächeln. Süden überlegte, ob sie sich nicht traute, offen zu lächeln.
»Bitte beschreiben Sie die Beziehung zwischen Ihrer Freundin Mia und Siegfried.«
»Hat sie das nicht schon getan?«
»Sie ist sehr zurückhaltend. Sie liebt ihn, hat aber aus irgendeinem Grund eine Scheu, es zuzugeben.«
»Gut beobachtet«, sagte Isabel Schlegel. Sie nippte an ihrem Mineralwasser, zog ihr Handy aus der Anoraktasche und schaute auf die Zeitanzeige. Dann steckte sie das Handy wieder ein und seufzte.
Womit dieser Seufzer zusammenhing, wusste Süden nicht genau, jedenfalls nicht nur mit dem Zeitdruck, unter dem sie stand – eher, vermutete er, mit ihrem Leben insgesamt, mit all dem Verzicht, den Selbstanforderungen, der Ratlosigkeit im Umgang mit einer Freundin, die nicht weniger für sich behielt als Isabel selbst. Beinahe hätte Süden nach ihrer Hand gegriffen. Das hatte er früher, als Kommissar auf der Vermisstenstelle, gelegentlich getan, und es hatte seinen Befragungen nicht geschadet.
»Halten Sie es für möglich, dass Siegfried sich etwas antut?« Er goss Milch in seinen Kaffee und trank mehrere Schlucke, damit Isabel Zeit hatte, außerhalb seines Blickes nachzudenken.
Sie wartete, bis er sie wieder ansah.
»So gut kenn ich ihn nicht. Weiß nicht. Er ist Taxifahrer. Weiß nicht. Nein.«
»Sie meinen, Taxifahrer sind generell keine potenziellen Selbstmörder.«
Wieder dieses irrlichternde Lächeln.
»Wir verfolgen noch eine andere Spur«, sagte Süden in der Hoffnung auf die letzten Minuten, die er noch zur Verfügung hatte. »Ihre Freundin ist politisch sehr interessiert und auch aktiv, Siegfried genauso. Die Kreise, in denen die beiden sich bewegen, sind gewaltbereit und unberechenbar. Spricht Mia manchmal darüber?«
»Wir reden doch nicht über Politik. Wir treffen uns, trinken ein Glas Wein zusammen, sie erzählt mir von ihrer Arbeit in der Zeitung und ich ihr von unseren Projekten. Ab und zu schauen wir gemeinsam Fußball im Fernsehen. Sie ist totaler Löwen-Fan, ich bin Bayern-Fan. Das kann lustig sein, vor allem, wenn ihre Kumpels dabei sind. Aber ich versteck mich nicht, das können Sie mir glauben. Politik brauchen wir nicht.«
»Aber Sie haben doch mit Politik zu tun.«
»Ich? Ich nicht.«
»Sie haben keine
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