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M: Ein Tabor Süden Roman (German Edition)

M: Ein Tabor Süden Roman (German Edition)

Titel: M: Ein Tabor Süden Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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Beifahrersitz, von sich selbst in die Ecke gedrängt. Er sah hinaus in die geschäftige Samstagsstadt. Für ausführliche Überlegungen war die Fahrt zu kurz, aber im Grunde wütete nur ein einziger Gedanke in ihm: Da Patrizia offenkundig von Starnberg nach München zurückgekehrt war, warum hatte sie nicht sofort ihn oder Edith benachrichtigt? Über diese Frage kam Süden nicht hinaus. Natürlich, dachte er schwerfällig, musste ihr miserabler Zustand dabei eine Rolle gespielt haben. Oder nicht? Anders war es nicht zu erklären, dass … Wie war Patrizia nach München gekommen? Auf welchem Weg? Wann?
    »Wiedersehen«, sagte Polizeihauptmeister Jordan, ohne den Kopf zu drehen. In einem Zustand von Benommenheit, mit der Plastiktüte unterm Arm, stieg Süden aus dem Streifenwagen. Vor der Haustür warteten schon die beiden Frauen auf ihn, Patrizia mit verschränkten Armen und einem verwirrten Ausdruck im bleichen Gesicht, umklammert von ihrer Chefin, die einen Schlüsselbund in der Hand hielt. Süden sperrte die Tür auf. Zu zweit hievten sie Patrizia in den ersten Stock hinauf. Vor jeder Stufe mussten sie innehalten und Patrizia, deren Kopf ständig nach unten sackte, verschnaufen lassen. Trotz ihrer Erschöpfung schaffte sie den Weg bis in ihr Schlafzimmer, wo sie aufs Bett fiel und eine Weile ein undefinierbares Stöhnen von sich gab.
    Bevor Süden mithelfen konnte, hatte Edith Liebergesell der jungen Frau Jacke, Hose und Pullover ausgezogen und suchte im Schrank nach frischer Unterwäsche. Unschlüssig stand Süden im Flur der Zweizimmerwohnung und wartete darauf, dass Edith aus dem Schlafzimmer kam. Als sie schließlich auftauchte, erschrak er fast.
    »Das habe ich in ihrer Hosentasche gefunden.« Sie gab ihm einen zerknüllten Zettel. Auf dem Arm trug sie Patrizias Kleidung.
    »Eine Taxiquittung«, sagte Süden.
    »Sie hat ein Taxi genommen und sich von unterwegs nicht gemeldet?«
    Was sollte Süden darauf antworten, er sagte: »Da ist die Adresse eines Starnberger Unternehmens.« Eine Zeitlang standen sie stumm einander gegenüber. Dann ging Edith ins Bad, um die nassen Sachen aufzuhängen, und Süden ins Schlafzimmer. Er kniete sich neben das Bett. Patrizia lag auf der Seite und hatte die Decke bis zum Hals gezogen. Wie an dem Tümpel starrte sie vor sich hin. »Kannst du dich erinnern, was in Starnberg geschehen ist, Patrizia?«, sagte er.
    Sie reagierte nicht. Er strich ihr über den Kopf. Ihre Haare waren wieder trocken und fühlten sich struppig an. Ihr ansonsten akkurat über den Augenbrauen endender Pony bestand nur noch aus wirren Fransen.
    »Wie bist du nach München zurückgekommen, Patrizia?« Süden wartete.
    Sie öffnete den Mund, wollte etwas sagen, schloss ihn wieder und gleichzeitig die Augen.
    In diesen zwei Minuten, während er auf dem bunten Teppich vor dem Bett kniete, kam es Süden vor, als wäre alles, was er bisher – mehr als fünf Jahrzehnte lang – getan und geträumt hatte, für immer aus dem Weltall verschwunden. Als wäre er bloß eine von einem geduldigen Schatten geworfene Hülle. Ein Mensch aus Luft, ohne einen Funken Vergangenheit oder Zukunft, eine Fata Morgana seiner Gedanken. Bei seinem Namen dachte er an keinen Mann, keinen Vater oder Sohn, sondern an eine konturlose Himmelsrichtung, von der sich Sonne, Mond und Sterne fernhielten.
    In dem vermoderten Atemhaufen, aus dem er zu bestehen schien, kramte er vergeblich nach einem Rest noch brauchbarer Stimme. Da war nichts mehr. Nicht einmal ein mickriges Echo, mit dem er wenigstens einen Husten hätte füllen können, um der Welt zu beweisen, dass er einmal existiert hatte.
    Süden gab keinen Laut von sich. Kein Blick ging von ihm aus, kein Zeichen, kein Verlangen. Vor ihm im Bett lag eine geschundene Frau und in einem anderen Teil der Stadt ein toter Mann, und an keinem von beiden hatte er ein Wunder vollbracht. Das und sonst nichts, dachte er vage, wäre sein Anteil am Leben gewesen. Und er war davon überzeugt, dass er sich immer nur eingebildet hatte, anwesend zu sein und der Hüter verlassener Zimmer. Hätte es mich gegeben, dachte er, wäre Leonhard Kreutzer nicht ungeschützt in die Nacht gegangen und Patrizia Roos nicht mutterseelenallein geblieben. Er war nicht da gewesen, das war Beweis genug.
    Er trieb in seiner Verzweiflung wie in einem fauligen Meer. Dann wuchtete er sich in die Höhe und brauchte eine Zeitlang, bis ihm wieder bewusst wurde, wo er sich befand.

    Patrizias Augen waren immer noch geschlossen. Als

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