M: Ein Tabor Süden Roman (German Edition)
Wohnung nicht betreten und sich aus allen ermittlungstechnischen Angelegenheiten vor Ort heraushalten, stimmte Jordan einer Routineüberprüfung zu. Vor vielen Jahren, erzählte er Edith Liebergesell abseits der Kollegen, habe Süden mitgeholfen, seinen elfjährigen Neffen, der in der Bahnhofsgegend und im zwielichtigen Milieu seiner Mutter verschwunden war, wiederzufinden. Das habe er nicht vergessen und sei eine Gegenleistung wert.
»Du weißt gar nicht, wie dankbar ich dir bin«, sagte Edith Liebergesell vor dem Haus in der Unteren Weidenstraße. Süden lehnte weiter an der Wand und hielt den Kopf im Nacken und die Augen geschlossen. »Entschuldige, das habe ich dir schon zehnmal gesagt. Wann kommen die endlich wieder runter?«
Süden glaubte nicht daran, dass die Durchsuchung einen Hinweis ergab. Er glaubte auch nicht, dass Patrizia tot oder bewusstlos in ihrer Wohnung lag. Er glaubte, dass Anlass zur Sorge bestand, aber die Dinge sich bald befriedigend aufklären ließen. Das glaubte er wirklich. Als hätte er seinen toten Kollegen im Krankenhaus vergessen. Als bildete er sich, trunken vor lauter Nüchternheit, einen klaren Blick ein, der aus dem schönen Abstand entstünde, den er zu seinem Tun entwickelt zu haben glaubte.
Jemand rief seinen Namen. Er öffnete die Augen, drehte den Kopf und sah sich verwirrt um. Der junge Polizist war aus dem Streifenwagen gestiegen und winkte ihn zu sich. Im gleichen Moment kamen Polizeiobermeister Jordan mit zwei Kollegen und der Mann vom Schlüsseldienst aus dem Haus.
»Alles ruhig«, sagte Jordan. »Niemand da.«
»Die Rechnung schick ich an die Detektei, richtig?«, sagte der Mann vom Schlüsseldienst. Edith Liebergesell nickte ihm zu, und er nickte zurück. Er hatte einen schwarzen Werkzeugkoffer bei sich und trug eine grüne Militärjacke.
Inzwischen hatte Süden den Streifenwagen erreicht. »Peters ist mein Name«, sagte der junge Mann. »Polizeimeister. Da hat grade die Zentrale angerufen. Zwei Jogger haben eine Frau in der Nähe vom Isar-Hochufer aufgegriffen, schwer untergekühlt, ziemlich fertig, aber anscheinend unverletzt. Die Zentrale hat uns informiert, weil wir in der Gegend sind. Wir hatten ja die Beschreibung Ihrer Kollegin weitergegeben. Ich kann nichts Konkretes sagen, aber das Alter könnte stimmen.«
»Wo an der Isar?«
»Irgendwo beim Braunauer Eisenbahnkiosk.«
»An der Wittelsbacher Brücke?«
»Beim Kiosk, sag ich, der ist an der Braunauer Eisenbahnbrücke, deswegen heißt der Kiosk ja so. Und Sie dürfen eh nicht mit. Wo gehen Sie hin?«
Süden ging zu Edith Liebergesell zurück. »Schaffst du die Strecke, oder sollen wir ein Taxi rufen?«, fragte er sie.
»Sie machen gar nichts.« Jordan kam mit ausgestrecktem Zeigefinger auf Süden zu. »Wir haben eine Abmachung, und dabei bleibt’s. In der Wohnung hält sich niemand auf, sie ist aufgeräumt, kein Zeichen von Gewalt oder sonstigen Vorkommnissen. Jetzt schauen wir mal, was es mit der Frau auf sich hat, die uns die Jogger gemeldet haben. Und dann bitte ich Sie eindringlich, Ruhe zu bewahren. Wenn Ihre Freundin bis heut Nachmittag immer noch nicht auftaucht, melden Sie sie als vermisst, auf dem normalen Dienstweg.«
»Nehmen Sie uns mit, Herr Jordan«, sagte Süden.
»Das dürfen wir nicht, das wissen Sie doch.«
»Ich bitte Sie drum.«
»Es geht nicht.«
»Eine letzte kleine Gefälligkeit wegen der Geschichte mit Ihrem Neffen«, sagte Edith Liebergesell und steckte die Zigarette, die sie gerade anzünden wollte, in die Schachtel zurück.
»Sie überziehen Ihren Kredit«, sagte der Polizeihauptmeister. Seine Kollegen sahen ihn erwartungsvoll an. Dann nestelte er an seinem Gürtel. »Steigen Sie hinten ein. Und wenn Sie sich in meine Befragung einmischen, mach ich Ihnen einen solchen Ärger, dass Sie Ihre restlichen Sorgen vergessen können.«
Auf der Fahrt, eingezwängt auf der Rückbank des Streifenwagens, sprachen sie kein Wort. Auf dem Beifahrersitz telefonierte Jordan mit der Einsatzzentrale, nahm neue Informationen entgegen und behielt diese für sich. Polizeimeister Peters folgte den wortlosen Anweisungen seines Chefs mit grimmiger Miene, die er im Rückspiegel auffällig einübte.
Bis zur Rettungszufahrt, die kurz nach der Eisenbahnunterführung von der Teutoburger Straße abzweigte, brauchten sie keine fünf Minuten. Der asphaltierte Weg führte in westlicher Richtung bis zum Kiosk, der unmittelbar am Hochufer lag, oberhalb des Flusses und der Wiesen. Wenige Meter nach
Weitere Kostenlose Bücher