M: Ein Tabor Süden Roman (German Edition)
wieder zum Fenster, bemüht, Ruhe zu bewahren. »Er blufft.«
»Das glaube ich nicht.«
»Er versucht, uns reinzulegen, ein dummer Trick.«
»Ich verlasse mich auf dich, Liebes.«
Sie strich die Zeitung glatt, obwohl diese nicht zerknittert war. Dann legte sie den Kopf schief und verzog den Mund zu einer Grimasse. Sofort setzte sie sich wieder aufrecht hin. »Ich fahr am Nachmittag auf jeden Fall mit ins Stadion. Wenn er wieder anruft, sag ihm, du hättest mir alles ausgerichtet.«
»Werde nicht leichtsinnig«, sagte Geiger. »Bleib wachsam, immer.«
»Ich bin wachsam, Vater.«
Geiger griff nach der Türklinke. »Du solltest Chefredakteurin der Deutschen Stimme werden. Und Geschäftsführerin des Verlags. Wir brauchen diese Zeitung, wir brauchen ein effizientes Organ auf dem Printmarkt.«
»Wir sprechen ein andermal darüber.«
»Ich bin nicht zufrieden mit dem Zustand der Zeitung.«
»Die Weltnetz-Ausgabe ist sehr gut und wird viel gelesen.«
»Ich will eine Zeitung am Kiosk«, sagte Geiger. »Ein Massenblatt, eine Zeitung fürs Volk.«
Mia gab keine weitere Antwort. Geiger verließ das Zimmer und schloss die Tür hinter sich. Wütend riss die Journalistin zwei Seiten aus der Zeitung, knüllte sie zusammen und schleuderte sie gegen die Fensterscheibe. Am Nachmittag beim Löwen-Spiel in der Arena würde sie sich ihren Hass aus dem Leib brüllen, so viel stand fest.
»Sie schläft friedlich«, sagte Edith Liebergesell, als sie aus dem Schlafzimmer zurückkam. »Sie riecht dermaßen nach Schnaps.«
Süden hatte es gerochen. »Jemand hat ihr den Alkohol eingeflößt und sie vorher betäubt.«
»Zu welchem Zweck? Jemand aus dem Hotel? Die machen sich doch auf diese Weise ihre Hände nicht schmutzig. Und was kann Patrizia herausgefunden haben, dass man sie so behandelt? Und warum, entschuldige …« Sie warf einen Blick zur Tür und senkte ihre Stimme. »Und warum hat man sie dann nicht gleich … umgebracht?«
»Möglicherweise wollten die Täter sie umbringen, aber etwas verhinderte die Tat.«
»Was denn, Süden?«
»Patrizias robustes Wesen.«
»Du meinst, sie hat sich gewehrt?«
»Oder sie ist rechtzeitig aufgewacht. Sie lag in der Nähe dieses Weihers. Die Täter wollten es vielleicht so aussehen lassen, als wäre sie sturzbetrunken ins Wasser gefallen. Sie könnten sie am Rand abgelegt haben, mit dem Kopf im Wasser. Aber sie ist aufgewacht. Die Täter konnten ja nicht abwarten, was passieren würde. Ein Auto an dieser Stelle fällt in der Nacht auf. Sie mussten schnell verschwinden.«
»Aber Patrizia hatte diesen Taxischein in der Tasche.«
Wieder dachte Süden an den toten Leonhard Kreutzer, und in seinem Kopf öffnete sich eine Falltür.
26
S ie saßen in dem kleinen Zimmer, Edith Liebergesell auf der gelben Couch, Süden am Tisch mit der hellgrünen Wachstuchdecke, und horchten auf ein Geräusch von nebenan und die Stille zwischen ihren Sätzen. Die meiste Zeit schwiegen sie. Sie sahen sich an, und ihre Blicke waren wie Leinen gespannt, an denen sie die tränenvollen Fetzen ihrer Gedanken trockneten. Sie weinten nicht. Das hatten sie einander wortlos verboten. Eine Beerdigung musste organisiert werden – welcher Friedhof, Tag der Beisetzung, Wahl des Sarges und des Grabschmucks, die übliche Bürokratie. Befragungen mussten durchgeführt werden: Patrizia, Mia Bischof, Ralph Welthe und andere. Die Suche nach dem Taxifahrer durfte nicht vernachlässigt, der Umgang mit der Polizei musste neu geklärt werden.
Sie wussten nicht einmal, ob Leonhard Kreutzer ein Testament hinterlassen hatte. Wann würde Patrizia wieder ansprechbar sein? Wäre es nicht klüger, den Auftrag ruhen zu lassen?
Sie zerbrachen sich den Kopf über Dinge, vor denen sie sich fürchteten. Diese Angst raubte ihnen jede Zuversicht. Jedes Mal, wenn sie sich ansahen, lag ein Schrecken auf ihren Gesichtern, den sie beim anderen nie für möglich gehalten hätten. Zu Ediths Überraschung war es Süden, der ihr marterndes Stillsein unterbrach.
»Betreutes Alleinsein«, sagte er.
Sie wusste, was er meinte. »Gibt es so viel, was man falsch machen kann?«
»Und noch mehr.«
»Das dürfen wir nicht zulassen, Süden. Hilf mir zu begreifen, was passiert ist. Wir haben nichts in der Hand. Patrizia war betrunken, das ist alles, was bisher feststeht. Und Leo wurde überfallen, ja, aber er starb an …«
»An einer rhythmogenen Ursache. Exitus letalis.«
»Wie kannst du dir bloß solche Wörter merken?«
»Wir werden
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