Mabel Clarence 03 - Schatten ueber Allerby
etwas benötigen – einfach da drücken. Die Klingel ist nicht nur mit den Wirtschaftsräumen, sondern auch mit meinem Zimmer verbunden. Ansonsten wünsche ich Ihnen eine gute Nacht und träumen Sie süß.“ Sie zwinkerte Mabel vertraulich zu. „Sie wissen ja: Was man in der ersten Nacht in einem fremden Haus träumt, geht in Erfüllung.“
Mabel dankte ihr erneut, sank, nachdem Angela das Zimmer verlassen hatte, in einen Sessel und holte tief Luft. Worauf hatte sie sich bloß eingelassen? Ihr falsches Spiel würde sofort auffliegen, wenn sie offenbarte, dass sie mit dem Laptop nicht umgehen konnte. Angela würde in der Agentur anrufen und erfahren, dass von dort noch gar niemand nach Allerby geschickt worden war. Mabel hatte sich zwar überlegt, wie sie die Klippe umschiffen sollte, wenn die angeforderte Pflegerin eintreffen würde, und sie hatte auch schon eine brauchbare Idee, mit solchen Widrigkeiten hatte sie aber nicht gerechnet. Verflixt, wie hätte sie auch ahnen sollen, dass die heutige Krankenpflege mehr als den Dienst am Patienten erforderte. Ihr Plan war so perfekt gewesen, doch nun schien alles daran zu scheitern, dass sie sich technischen Neuerungen verschlossen hatte.
„Reiß dich zusammen!“, sagte sie laut und straffte entschlossen die Schultern. „So schwer kann das doch nicht sein.“
Sie schob das Tablett zur Seite, denn die Suppe war bereits kalt geworden, und sie hatte ohnehin keinen Hunger mehr, holte den Laptop, stellte ihn auf den Tisch und öffnete die schwarze Klappe. Konzentriert suchte sie die Tastatur ab und fand tatsächlich einen großen runden Knopf, auf den sie einfach drückte. Es erklang eine leise, harmonische Melodie, und auf dem Bildschirm erschien ein farbiger Hintergrund mit allerlei für Mabel unverständlichen Zeichen.
„Na also!“ Triumphierend nickte Mabel und betrachtete die vielen bunten Symbole. Doch was jetzt? Angela hatte gemeint, sie könne die entsprechende Datei direkt nach dem Einschalten aufrufen. „Boskop“ oder so ähnlich hatte sie gesagt. Boskop war zwar eine Apfelsorte, aber bei den vielfältigen Bezeichnungen, die man im Computerwesen benutzte, würde es Mabel nicht wundern, wenn man irgendetwas nach einem Apfel benannte. Immerhin gab es sogar eine Firma, die Apfel hieß und Computer herstellte. Mabel überlegte, ob sie es wagen sollte, einfach ein paar Tasten und Knöpfe auszuprobieren, entschied sich dann aber dagegen. Sie hatte gehört, dass Computer abstürzen konnten und dann alle Daten unwiderruflich verloren waren. Das wollte sie nicht riskieren. Sie musste aber an Captain Douglas’ Pflegeakte gelangen – und es gab nur eine Person, die ihr dabei helfen konnte. Deshalb nahm sie ihr Handy und drückte die Kurzwahltaste.
Als nach dem zweiten Klingeln am anderen Ende abgenommen wurde, rief sie erleichtert: „Victor! Gott sei Dank, ich brauche Ihre Hilfe!“
„So schnell?“ Victor schien wenig begeistert über Mabels Anruf zu sein und fragte spöttisch: „Haben Sie den Mörder etwa schon dingfest gemacht und in den Keller gesperrt?“
„Ach, Victor, mir ist nicht nach Scherzen zumute. Erklären Sie mir bitte, wie ich auf einem Computer an eine Datei komme; die Pflegeakte von Douglas Carter-Jones steht nämlich nur auf so einem Ding zur Verfügung.“
Victor schwieg zuerst, dann hörte Mabel ein verhaltenes Kichern.
„Tja, liebe Mabel, da müssen Sie jetzt durch.“
„Was soll das heißen?“
„Wer sich in Gefahr begibt, kommt darin um“, zitierte Victor theatralisch. „Sie hatten um Urlaub “, er sprach das Wort langsam und deutlich aus, „gebeten, und was meine Angestellten in ihrer Freizeit machen, geht mich nichts an.“
Mabel atmete tief ein und aus und versuchte, ruhig zu bleiben. „Ich verstehe, dass Sie beleidigt sind …“
„Ich bin nicht beleidigt“, unterbrach Victor sie harsch, „nur nicht gewillt, Ihre verrückten Eskapaden zu unterstützen.“
„Das heißt, Sie wollen mir nicht helfen?“, fragte Mabel leise. Wieder folgte Schweigen.
Mabel befürchtete schon, Victor hätte aufgelegt, dann sagte er bestimmt: „Es tut mir leid, aber ich muss die Leitung frei halten. Immerhin habe ich Notdienst, und es könnte ein wirklich wichtiger Anruf kommen.“
Mabel starrte auf ihr Handy, als sehe sie es gerade zum ersten Mal. Victor hatte tatsächlich aufgelegt! Er ließ sie einfach im Stich! Tränen der Enttäuschung, aber auch der Wut stiegen ihr in die Augen. Offenbar war Victor felsenfest
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