Mabel Clarence 03 - Schatten ueber Allerby
davon überzeugt, dass an Michelles Tod wirklich nichts Sonderbares war, da er sich so wenig kooperativ verhielt. Bei den vergangenen Fällen war er zuerst zwar auch zögerlich, dann aber mit Feuereifer bei der Sache gewesen, als es gegolten hatte, die Verbrechen aufzuklären. Was war nur plötzlich mit ihm los? Solange Mabel auch grübelte – sie fand keine Antwort und noch weniger eine Lösung, wie sie nun erfahren sollte, welche Medikamente sie Lord Douglas morgen früh geben musste.
Sie beschloss, zu Bett zu gehen. Ein paar Stunden Schlaf würden ihr guttun, denn sie musste einen klaren Kopf bekommen, um zu überlegen, wie sie weiter verfahren sollte.
Als Angela Thorn am nächsten Morgen kurz nach sechs Uhr an Mabels Tür klopfte, um sie zu wecken, hatte Mabel bereits geduscht und war fertig angezogen. Sie war eine Frühaufsteherin, und der Schichtdienst im Krankenhaus hatte sie gelehrt, auch mit wenig Schlaf auszukommen.
„Sie sind schon wach?“, fragte Angela, nachdem Mabel sie hereingebeten hatte. Die Wirtschafterin wirkte noch sehr verschlafen und gähnte hinter vorgehaltener Hand. „Ich wollte fragen, ob Sie auf Ihrem Zimmer oder mit mir zusammen in der Küche frühstücken möchten. Captain Douglas wünscht, um sieben Uhr geweckt zu werden, wir haben also noch etwas Zeit.“
„Machen Sie sich wegen mir keine Umstände“, antwortete Mabel. „Ich komme sehr gerne hinunter, zu zweit frühstücken ist mir ohnehin lieber.“
Sie folgte Angela über die breite Treppe in die Halle. Unter der Treppe führte eine schmale Tür in den Küchentrakt, in dem inzwischen nur noch wenige Räume benutzt wurden, wie Angela Mabel beiläufig erklärte.
„Früher, als noch mehrere Generationen unter einem Dach lebten und regelmäßig Gäste auf Allerby bewirtet wurden, waren hier bis zu zwei Dutzend Angestellte beschäftigt. Das kann sich heute kaum jemand leisten, außerdem leben die Herrschaften sehr zurückgezogen, da lohnt sich zahlreiches Personal nicht mehr. Und seit Captain Douglas’ Unfall und jetzt nach dem Tod von Lady Michelle …“
Sie ließ den Rest offen, Mabel verstand jedoch, was sie meinte. Nach so vielen Schicksalsschlägen stand wohl kaum jemandem der Sinn nach Gästen, was in der derzeitigen Situation auch unangemessen gewesen wäre.
In der geräumigen Küche, die mit allen notwendigen modernen Geräten ausgestattet, sonst aber mit Möbeln wie vor zweihundert Jahren eingerichtet war, stand schon eine Kanne Tee bereit. Mit geschickten Handgriffen bereitete Angela Eier, Speck, Würstchen, gegrillte Tomaten und Champignons zu und toastete das Brot. Mabel setzte sich auf die Bank an dem großen Küchentisch und empfand es als angenehm, auch einmal bedient zu werden. Sie bot Angela zwar ihre Hilfe an, doch die Wirtschafterin lehnte ab.
„Sie haben sich mit allem vertraut gemacht?“, fragte Angela, als sie sich beide dem deftigen, reichhaltigen Frühstück widmeten.
Mabel nickte. Tatsächlich hatte sie über Nacht eine Idee bekommen, wie sie die Sache mit dem Laptop lösen konnte.
„Glauben Sie, Sie schaffen es heute schon allein?“, fragte Angela und sah Mabel erwartungsvoll an. „Sonntag ist nämlich mein freier Tag, aber da Lady Jane nicht im Haus ist und erst heute Abend zurückerwartet wird …“
„Gehen Sie ruhig“, sagte Mabel. „Ich komme schon klar, immerhin ist der Captain nicht mein erster Patient.“
„Danke, ich würde ungern verzichten, zumal ausgerechnet heute …“
Schnell brach Angela ab, und Mabel schien es, als hätte die junge Frau beinahe etwas ausgeplaudert, was nicht für ihre Ohren bestimmt war. Sie hakte nach.
„Verzeihen Sie meine direkte Frage, aber sind Sie eigentlich verheiratet?“
Angela schüttelte stumm den Kopf, da sie gerade ein Stück Toast im Mund hatte.
„Aber einen Freund werden Sie doch haben? So eine attraktive Frau wie Sie.“
Angela errötete verlegen. Nachdem sie das Stück Toast heruntergeschluckt hatte, antwortete sie: „Die Arbeit lässt mir wenig Zeit für ein Privatleben, außerdem kümmere ich mich regelmäßig um meine Familie. Mein Vater ist seit Jahren arbeitslos, meine Mutter nicht ganz gesund. Und dann sind da meine jüngeren Geschwister, die noch lange nicht auf eigenen Füßen stehen.“
„Ich verstehe.“ Mabel nickte und fuhr fort: „Soll ich Captain Douglas das Frühstück hinaufbringen? Ich mache es wirklich gern, und Sie können früher gehen.“
„Das ist sehr freundlich.“ Angela wischte sich den
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