Mabel Clarence 03 - Schatten ueber Allerby
jedoch mit Einzelheiten. Machen Sie, was Sie wollen. Wenigstens brauche ich mich um Sie nicht zu sorgen, denn auf Allerby gibt es glücklicherweise kein Verbrechen. Wenn Sie mich jetzt entschuldigen würden. Ich muss ich mich wieder an die Arbeit machen.“
Victor war ernsthaft verstimmt, das merkte Mabel sofort. Der Tierarzt benahm sich zwar oft brüsk und abweisend, heute war er über Mabels Vorhaben jedoch wirklich verärgert. Sie versuchte einzulenken.
„Es ist zwar notwendig, dass ich auf Allerby wohne, doch es ist nicht weit entfernt. Sicher kann ich immer mal wieder nach Lower Barton kommen und bei Ihnen nach dem Rechten sehen. Ich könnte auch Speisen vorkochen und ...“
„Danke, das ist nicht nötig, ich komme sehr gut allein zurecht.“ Victor sah Mabel nicht an, sondern vertiefte sich in eine Liste, die er mit dem vorhandenen Vorrat an Antibiotika abglich.
Mabel lag ein Widerspruch auf der Zunge, sie wollte Victor aber nicht noch mehr verärgern. Auch hatte sie Verständnis für seine ablehnende Haltung, denn er hatte Michelle ja nicht kennengelernt, konnte Mabels Zweifel an deren Selbstmord also nicht nachvollziehen.
Sie wandte sich zum Gehen und sagte, die Hand bereits auf der Klinke: „Wenn ich mir vorstelle, in welchen Zustand Sie die Wohnung während meiner Abwesenheit versetzen werden, bin ich die Leidtragende, denn ich darf ja dann alles wieder aufräumen und putzen, wenn ich zurück bin.“
Ihre Worte waren von einem versöhnlichen Lächeln begleitet, aber Victor schenkte ihr keine Beachtung, sondern murmelte nur etwas, das sich anhörte wie: „Hab Sie nicht darum gebeten.“
Während Mabel zu ihrem Cottage fuhr, um für die nächsten Tage ein paar Sachen zu packen, musste sie sich eingestehen, dass Victors Verhalten sie verletzte. Gemeinsam hatten sie zwei Verbrechen aufgeklärt, daher hatte sie gehofft, auch bei diesem Fall wäre Victor Feuer und Flamme, einen eventuell als Freitod getarnten Mord aufzudecken. Wohlweislich hatte sie ihm verschwiegen, dass sie sich unter falscher Identität in Allerby eingeschlichen hatte und dabei seinen Namen benutzte.
„Ihm geht es nur darum, dass ihm jemand das Essen kocht und seine Wäsche macht“, sagte sie laut. Eigentlich hätte sie das wissen müssen und nicht hoffen dürfen, mit Victor zusammen ein neues spannendes Abenteuer zu erleben. Wenn es das überhaupt geben würde, denn bisher fehlte Mabel der geringste Beweis, dass bei Michelles Tod Fremdeinwirkung eine Rolle gespielt hatte. Mabel folgte ausschließlich ihrem Instinkt, der sie nur selten im Stich ließ. Sie war aber auch nur ein Mensch, und Irren war schließlich menschlich.
Nachdem Mabel alles beisammen hatte, suchte sie ihre direkten Nachbarn – ein jüngeres Ehepaar mit zwei halbwüchsigen Kindern – auf und bat die nette Frau, regelmäßig ihre Katze zu füttern. Violet war dazu gern bereit, denn ihre Kinder liebten Lucky und spielten oft mit ihr.
„Ich muss für ein paar Tage verreisen“, erklärte Mabel. „Durch die Katzenklappe an der Hintertür kann Lucky immer ins Haus, wenn sie möchte.“
Violet nickte zustimmend. „Na, wie wir die kleine Mieze kennen, wird sie es sich auch gern auf unserem Sofa bequem machen. Sorgen Sie sich nicht, Mabel, wir werden uns um Lucky kümmern.“
Beruhigt, ihre Katze gut versorgt zu wissen, machte Mabel sich auf den Weg. Es war schon dunkel, als sie wieder in Allerby House eintraf. Beim Anblick des warmen Lichtes, das die Fenster im Erdgeschoss erhellte, waren die Gedanken an Victor vergessen. Auch wenn Mabel in den nächsten Tagen arbeiten musste, freute sie sich auf den Aufenthalt in dem eleganten alten Haus. Die Pflege eines querschnittsgelähmten Mannes war zwar sicher nicht einfach, doch sie verfügte über die notwendigen Kenntnisse und wusste, wie man auch schwerere Patienten umbettete und in den Rollstuhl setzte, ohne sich einen Rückenschaden zuzufügen. Trotz ihrer dreiundsechzig Jahre war Mabel kerngesund und belastbar. Lediglich eine alterstypische Kniearthrose erinnerte sie hin und wieder daran, dass ihr Körper eben nicht mehr der jüngste war, aber Mabel versuchte, diese Zipperlein meistens zu ignorieren.
Angela Thorn nahm Mabel die Tasche ab und begleitete sie in ihr Zimmer hinauf, wo im Kamin ein wärmendes Feuer brannte. „Ich dachte, es ist so gemütlicher“, sagte die junge Wirtschafterin. „Wir haben hier in fast allen Räumen Zentralheizung, doch der Captain mag lieber ein Kaminfeuer. Es ist
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