Mabel Clarence 03 - Schatten ueber Allerby
einem Seufzer stellte Alan das Glas zur Seite. „Es ist schon starker Tobak, was der Mann sich geleistet hat. Ich meine, zu verschweigen, dass er wieder gehen kann. Daraus kann ihm aber kein Strick gedreht werden. Schlimmer ist vielmehr die Tatsache, dass er von der Affäre seiner Frau wusste. Warden konstruiert fleißig eine Indizienkette, die darauf schließen lassen könnte, Captain Douglas habe den Liebhaber seiner Frau ermordet.“
„Sie glauben das nicht?“ Mabel sah Victors Patensohn aufmerksam an.
„Ich bin sein Anwalt“, erwiderte Alan lapidar. „Als solcher muss ich das glauben, was mein Mandant mir sagt, und Captain Douglas bestreitet vehement jede Tatbeteiligung, obwohl vieles gegen ihn spricht. Er hatte die Möglichkeit, den Mord zu begehen. Vergessen Sie nicht, Miss Mabel, er konnte jederzeit sein Zimmer verlassen und sich aus der Küche das Messer besorgen; außerdem hat er kein Alibi. El-Said …“ Als Alan sah, wie Mabel die Stirn runzelte, erklärte er: „Die Identität des Toten ist inzwischen eindeutig geklärt. Es handelt sich um Mahmoud El-Said, ägyptischer Staatsbürger, einunddreißig Jahre alt. Seine Familie hatte sich nämlich schon bei der englischen Polizei gemeldet, nachdem sie seit Wochen nichts mehr von ihm gehört hatte.“
„Seine Familie?“ Mabel konnte dem Anwalt fast nicht mehr folgen. „Lebt sie denn in England?“
Alan schüttelte den Kopf. „Die ganze Sache ist verzwickter, als Sie glauben. Angeblich kam El-Said vor einem knappen Jahr nach Cornwall, um hier zu heiraten. Das hatte er jedenfalls seinen Eltern mitgeteilt, denn ohne eine Heirat hätte er keine Aufenthaltsgenehmigung erhalten. Seitdem schickte er regelmäßig Geld in seine Heimat. Seine Familie ist sehr arm, und sie hinterfragten nicht die Umstände, sondern waren glücklich, dass es einer ihrer Söhne so gut getroffen hatte. Seit ein paar Wochen sind aber nicht nur die Zahlungen, sondern auch Nachrichten von El-Said ausgeblieben. Da es den Eltern an den finanziellen Mitteln fehlte, um nach England zu reisen, gaben sie eine Art Vermisstenanzeige bei den hiesigen Behörden auf.“ Alan hob die Hand, als er sah, dass Mabel einen Einwand vorbringen wollte. „Wie das geht, kann ich Ihnen jetzt nicht erklären – das führt zu weit, und man versteht es wahrscheinlich nur, wenn man regelmäßig mit der Materie zu tun hat. Es ist auch nicht wichtig. Auf jeden Fall scheint der Tote verheiratet gewesen zu sein, wobei sich nirgends ein Hinweis auf seine Frau finden lässt.“
„El-Said war verheiratet? Aber ich dachte, er und Lady Michelle …“ Mabel war sprachlos, was nur selten geschah. „Jetzt brauche ich doch einen Schluck. Möchten Sie auch noch einen? Aber Sie müssen noch fahren, nicht wahr?“
Alan lehnte bedauernd ab. „In der Tat muss ich heute noch nach Truro und möchte lieber nichts riskieren. Um auf El-Said zurückzukommen: Warden hat kein Interesse, dieser angeblichen Ehe auf den Grund zu gehen. Für ihn ist die Sachlage klar und der Mörder hinter Schloss und Riegel.“
Mabel nippte an der goldbraunen Flüssigkeit, die ihr scharf am Gaumen brannte, aber der Alkohol schien sie von innen heraus zu wärmen. „Das sieht Warden mal wieder ähnlich: immer nur das Offensichtliche anzunehmen. Dabei sieht er nie hinter die Ereignisse“, sagte sie.
Ernst erwiderte Alan: „Warden hat sich in die Idee verbissen, Captain Douglas habe El-Said aus Eifersucht umgebracht, besonders jetzt, wo es als sicher erscheint, dass Lady Michelle ihren Liebhaber nicht nur mit körperlichen Reizen, sondern auch mit knisternden Geldscheinen betörte. Das ist ein sehr starkes Motiv.“
„Das stimmt.“ Mabel konnte es Warden nicht übel nehmen, wenn er aus den vorliegenden Fakten solche Schlüsse zog. „Trotz allem, ich glaube nicht, dass der Captain ein Mensch ist, der einem anderen ein Messer kaltblütig in die Brust stößt. Außerdem – warum schwieg er nicht? Niemand hatte eine Spur, niemand wusste, dass er seine Lähmung überwunden hat, alle hielten ihn für den trauernden Witwer, der am Tod seiner Frau beinahe zerbricht. Selbst ich ahnte bis kurz vor seiner Verhaftung nichts von alledem.“
„Und das will was heißen, Miss Mabel. Wenn selbst Ihre ausgeprägte Spürnase nicht die richtige Fährte aufnimmt …“ Mit einem bedauernden Lächeln erhob sich Alan. „Sie entschuldigen mich jetzt bitte? Ich danke für den Whisky und halte Sie auf dem Laufenden, sofern es meine
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