Macabros 002: Fluch der Druidin
Es lag am Strand.
Beim Näherkommen entdeckte er, daß es sich um eine
schneeweiße Jacht handelte, die gestrandet war.
Er kletterte über das felsige Gestein hinweg.
Dort mußten Menschen sein, die der Sturm an Land gezwungen
hatte. Fremde, die sicherlich keine Furcht vor Kiuna Macgullyghosh
hatten und vielleicht sogar bewaffnet waren.
Die Hoffnung gab ihm neuen Mut und verlieh seinem
abgekämpften Körper neue Kraft.
Er beschleunigte seinen Lauf, war jedoch schon so fertig,
daß er umkippte, über den Boden kriechen mußte,
nicht wieder auf die Beine kam und minutenlang wie tot
liegenblieb.
Seine Muskeln und Sehnen waren starr und steif.
Er schob sich näher an die Jacht heran, sah eine junge Frau,
die an der Reling lag. Die eine Hand hing schlaff im Wasser. Die Haut
war an dem scharfkantigen Felsen aufgerissen.
Aber sie atmete.
Keuchend kroch Clearwater über die Reling.
Die Jacht hing verkantet zwischen zwei mächtigen
Felsblöcken.
War nur diese Frau an Bord gewesen? Dieser Gedanke kam ihm absurd
vor.
Es gelang Clearwater, sich aufzurichten und einen Blick in die
erleuchtete Kabine zu werfen.
Dort rührte sich etwas. Ein junger Mann, offenbar benommen
von einem Sturz, kam in diesem Moment zu sich.
Er tastete nach seinem Hinterkopf.
Die Frau stöhnte leise, und Clearwater wurde abgelenkt. Er
war auf Schiffbrüchige gestoßen.
Clearwater ging in die Knie und schlug ihr mehrmals leicht auf die
Wangen.
»Aufwachen! Hallo! Können Sie mich hören?«
Clearwater erschrak vor seiner eigenen Stimme.
Die schöne Fremde war völlig durchnäßt und
unterkühlt. Die lange weiße Hose und die
türkisfarbige sportliche Bluse klebten an ihrem Körper.
Carminia Brado schlug die Augen auf und wollte etwas sagen, aber
nur ein unverständliches, kaum hörbares Murmeln kam
über ihre Lippen.
Charles Clearwater hob den Blick, um sich zu vergewissern, ob es
ihm gelungen war, die gespenstische Verfolgerin abzuwimmeln.
Verzweifelt ließ er die Arme sinken.
Der Alptraum ging weiter.
Auf der felsigen Landzunge, nur einen Steinwurf von der
gestrandeten »Seejungfrau« entfernt, stand Kiuna
Macgullyghosh, das blutgierige Skelett.
Die wehenden Fetzen des morschen Gewandes flatterten um die
Knochengestalt. Die leeren Augen des Totenschädels waren zu ihm
herübergedreht, als könnten sie ihn wahrnehmen.
Die Druidin löste sich von der Stelle und kam langsam durch
das seichte Wasser auf ihn zu.
*
Er sah keinen Ausweg.
Und doch konnte Björn Hellmark sich nicht dazu
entschließen, sich in eine Ecke zu setzen und tatenlos die Zeit
verstreichen zu lassen.
Er mußte versuchen, die fünf »Schwarzen
Priester« wiederzufinden. Das war seine einzige Chance.
Vorausgesetzt, daß es überhaupt eine war. Er hatte den
Eindruck gewonnen, daß man es nicht besonders gut mit ihm
meinte.
Sinnend betrachtete er das blinkende Schwert. Er mußte an
die Worte des Fremden denken, der ihm Stellen aus der Schrift zitiert
hatte. Er wog das Schwert in der Hand. Es war leicht wie eine Feder.
Aber man hatte ihm erklärt, daß nur einer in der Lage sei,
dieses Schwert überhaupt zu heben. Er.
Nachdenklich und bedrückt durchsuchte er die Hallen.
Die unheimlichen Darstellungen von schreckeinflößenden
Fabelwesen, geflügelten Drachen und Schlangen und
menschenfressenden Ungeheuern begleiteten ihn auf Schritt und
Tritt.
Das Licht war trüb, die Umgebung unheimlich.
Und er war der einzige Mensch. Das Geräusch seiner hallenden
Schritte war der einzige Laut, der ihn begleitete.
»Den Spiegel!« wisperte da in seinem Gehirn. »Du
mußt den Spiegel finden. Geh’ durch ihm hindurch.
Geh’ in den Turm!«
Was war das? Wer war das? Al Nafuur? Es ging alles so schnell, so
leise, daß Hellmark gar nicht schnell genug schalten
konnte.
War es wirklich Al Nafuurs Stimme gewesen? Oder die Stimme eines
anderen? Eines der Priester, die vorhin in der Halle versammelt
waren?
War es eine Falle, ein Hinweis, den er fürchten
mußte?
Die Begegnung mit den Priestern hatte einiges zur Sprache
gebracht, was er nicht einfach als sinnlos und für ihn nicht
maßgebend abweisen konnte. Die Ereignisse sprachen für
sich.
Es gab Kräfte, die in ihm einen Feind sahen. Und dies alles
mußte mit der Geschichte um Xantilon, um den Untergang der
sagenhaften Insel und der Kultur dort, zusammenhängen. Und zum
erstenmal kristallisierte sich auch der Gedanke heraus, daß Al
Nafuur seinerzeit nicht zufällig in sein Leben getreten war.
Dies alles – und auch
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