Macabros 018: Knochentunnel in das Grauen
dem
Björns Freunde gekommen waren, stand dort ein grauer Austin, der
sich kaum vom Asphaltuntergrund abhob. Der Wagen trug ein englisches
Nummernschild. Bei dem Paar handelte es sich offensichtlich um
Engländer.
Pepe sprang die breiten, terrassenförmigen Stufen herab, die
neu angelegt worden waren, um die Besucher so nahe wie möglich
an die durch Bretterböden gesicherten Schächte
heranzuführen. Kleine Stollen, die weniger als einen halben
Meter tief waren, hatte man nicht abgedeckt, damit die Besucher eine
Vorstellung bekamen von dem Höhlen- und Tunnelsystem, das man
entdeckt hatte und über das man so gut wie nichts wußte.
Fest stand lediglich, daß es zwei, drei tiefe Schächte
gab, die nur von einer wenige Meter dicken, jüngeren
Gesteinsschicht oder ganz und gar von den Grundmauern der keltischen
Siedlung bedeckt gewesen waren.
Von hier oben hatten Rani und Carminia einen trefflichen Blick in
den Kessel, in den sie abstiegen, um Pepe zu folgen.
Unverhofft tauchte der Vierzehnjährige immer wieder auf und
stellte ein paar Fragen, die Carminia ihm nach Möglichkeit so
erschöpfend wie möglich beantwortete, und huschte dann
wieder wie ein Wiesel davon.
Im Nu war er wieder fünfzig, hundert Meter voraus, tauchte
hinter den Lattenzäunen unter und entschwand den Blicken der
Begleiter.
Die Dämmerung erschwerte die Besichtigung zunehmend. »Es
hat keinen Sinn mehr«, meinte Carminia plötzlich und blieb
stehen. Sie war außer Atem. Das ständige bergauf, bergab
kostete viel Kraft. Rani Mahay merkte man nichts von der Anstrengung
an. Gegen die grazile Südamerikanerin war er der reinste
Riese.
»Es ist doch mehr, als wir gedacht haben. Vom Parkplatz unten
sieht der Bezirk gar nicht so groß aus«, pflichtete Rani
ihr bei.
»Warten wir noch auf Pepe. Ich nehme an, daß er gleich
wieder auftaucht.«
Carminia irrte sich.
Diesmal blieb der Junge ausnahmsweise länger. Das hatte
seinen Grund.
Der flache Lattenzaun stieß gegen einen Schuttberg. Hier war
die Terrasse zu Ende. Genau hinter dem Zaun gab es ein halb
zugedecktes Loch.
Pepe starrte über den Zaun.
Er hörte ein leises Rauschen, gerade so, als ob dort unten
ein unterirdischer Fluß vorbeiströme.
Aber davon war keine Rede gewesen.
Konnte es sein, daß durch die Erschütterungen der
Preßlufthämmer vielleicht eine Quelle aufgebrochen
war?
Dann würde er der Entdecker dieser Quelle sein!
Pepe blickte sich nur kurz um, kein Mensch weit und breit. Niemand
beobachtete ihn. Ein kurzer Sprung, und schon war er über dem
Hindernis. Steinschutt knirschte unter seinen Füßen.
Das Loch in den Berg war vielleicht sechzig Zentimeter im
Durchmesser. Besonders tief schien es nicht zu sein, denn der
Bretterverschlag lag nur halb darüber, was darauf
schließen ließ, daß dieser Schacht nicht
gefährlich war.
Doch das war ein Trugschluß von Pepe!
*
Ganz deutlich hörte er das Rauschen, und es lockte ihn ebenso
an wie eine Stimme, hätte sie dort leise unter dem
Bretterverschlag geflüstert.
Vorsichtig drückte der Junge den Verschlag auf die Seite, als
er erkannte, daß gleich darunter in vielleicht dreißig
Zentimeter Tiefe – Gesteinsbrocken lagen. Dort kam das Rauschen
her.
Schimmerte es nicht auch schon feucht?
Er streckte vorsichtig die Hand in das Loch, um mit den
Fingerspitzen die Nässe zu ertasten.
Da passierte es!
Das Rauschen schwoll an…
Es wurde zu einem, schrillen Heulton. Pepe wußte nicht, wie
ihm geschah.
Plötzlich wurde er gepackt, obwohl dort keine Hände
waren. Er wurde mit dem Kopf zuerst in das große, dunkle Loch
gerissen. Was er als Gesteinsbrocken gesehen hatte, waren dunkle,
sich bewegende Schatten.
Der Sog riß ihn in die Tiefe.
»Hilllfeee! Raaannniii!«
*
Das Echo rollte durch die Berge.
Carminia fuhr entsetzt zusammen. »Pepe!« preßte
sie hervor. »O mein Gott, da ist etwas passiert!
Rani…«
Der Mann aus Bhutan hörte die letzten Worte schon nicht mehr.
Er spurtete los, jagte die Terrasse hinab. Steine lösten sich
unter seinen Füßen und krachten gegen kahle
Felswände.
Wie eine zum Leben erwachte, bronzefarbene Statue sauste der Inder
über den holprigen Boden und übersprang den wackeligen
Lattenzaun, der unter seinem Gewicht zusammengebrochen wäre,
hätte er sich darauf gestützt.
Es rumpelte und grollte im Innern des Berges.
Voller Entsetzen sah Rani das Unheil.
Der Stollen, die Gesteinsmassen, die locker rundum gelegen hatten
und nun donnernd in die Tiefe stürzten, und
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