Macabros 019: Im Schlund der Höllenschlange
Weg nach Deadly
Bluff.«
»Deadly Bluff?« echote Anne Lowestone, als hätte
sie nicht richtig gehört. »Was sollte er denn
dort?«
»Das frage ich mich auch. Jemand muß ihn dorthin
gelockt haben. Warum – wissen wir nicht. Von Mallow selbst haben
wir keine Spur entdeckt.« Während Brodnick sprach, blickte
er Björn Hellmark intensiv an, als könne er ihm eine
Antwort auf seine Fragen geben.
*
Anne Lowestone hatte sich zurückgezogen. Zum Kaffee kam sie
nicht, bat aber die Anwesenden, sich durch ihre Abwesenheit nicht
stören zu lassen.
Das schwarze Hausmädchen trug Kaffee und Gebäck auf. Am
Tisch des Gästehauses saßen insgesamt zehn Personen. Dazu
gehörte auch der Bruder Richard Lowestone, der diesem – den
Bildern nach zu urteilen, die Björn gesehen hatte – gar
nicht ähnlich sah. Richard Lowestone war ein großer,
kräftiger Mann mit dichtem, rotblondem Haar gewesen.
Sein Bruder war schmal, blaß und schwächlich. Ein Mann,
der im Büro in Sacramento arbeitete und sich körperlich nie
intensiv beschäftigt hatte.
Die anderen Gäste setzten sich zusammen aus Freunden, die
weit angereist waren, um dem Toten die letzte Ehre zu erweisen.
Dazu gehörte auch ein schweigsamer alter Mann mit grauem Haar
und wettergegerbtem Gesicht. Ein richtiger Tramp, drängte sich
Björn der Vergleich auf.
An der Seite dieses Besuchers saß ein junger Mann,
höchstens dreiundzwanzig. Er hatte die gleiche, kräftige
Nase und das energische Kinn wie der Alte. Sie unterhielten sich
beide angeregt.
Björn hatte erfahren, daß der Grauhaarige die ganze
Welt kannte und nirgendwo richtig seßhaft geworden war. Der
Alte machte trotz seines Alters einen kräftigen, beweglichen
Eindruck, und seine aufmerksamen Augen blickten klar unter buschigen
Augenbrauen in die Welt.
Der Mann hieß Benjamin Kennan. Der junge Bursche an seiner
Seite war sein Sohn und hieß Alan.
Mehr wußte Hellmark nicht über die beiden.
Eigenartigerweise fühlte er sein Interesse an diesem ungleichen
Paar von Minute zu Minute wachsen.
Zumindest der Alte war eine außergewöhnliche
Persönlichkeit. Wer mit siebzig noch durch die Welt streifte wie
ein junger Abenteurer und dabei aussah wie fünfzig, der
mußte schon aus besonderem Holz geschnitzt sein. Hellmark nahm
sich vor, Misses Lowestone zu fragen, in welcher Beziehung Kennan und
sein Sohn zur Farm und den Lowestones standen.
Genau besehen ging ihn das als Außenstehenden zwar nichts
an, aber er fühlte sich nicht als Außenstehender. Er hatte
das dumpfe Gefühl, daß der plötzliche Tod Richard
Lowestones auf irgendeine Weise mit seinem Schicksal
zusammenhing.
*
Auf dem großen Anwesen verliefen sich die Menschen.
Zahlreiche Nebengebäude und Ställe gab es hier, große
Wiesen, Felder und die nahen Berge. Das Wetter war einmalig
schön. Kein Wölkchen am Himmel.
Carminia und Björn gingen noch mal in das Haus, um sich von
Anne Lowestone zu verabschieden.
Tom Fenster aus konnten sie in den Hof sehen.
Lässig gegen ein Gatter gelehnt stand dort der alte Benjamin
Kennan. Er trug verwaschene und geflickte Blue jeans und ein
rotkariertes Hemd. Seine Haltung war die eines jungen Mannes, der
noch Kraft in seinen Muskeln fühlt und diese Kraft auch zu
steuern weiß.
Kennan rauchte genüßlich eine Zigarre und unterhielt
sich angeregt mit seinem Sohn, der auf einem Holzklotz hockte und zu
ihm aufsah wie zu einem Prediger, der das Geheimnis um Leben und
Sterben ergründet hatte.
»Was sind das für Leute?« fragte Björn
unvermittelt. »Entschuldigen Sie meine Neugierde, Misses
Lowestone. Aber seit die beiden hier eingetroffen sind,
beschäftige ich mich in Gedanken mit ihnen.«
Anne Lowestones Schleier raschelte. »Ja, das ist meistens so
gewesen. Sie sind nicht der erste, Mister Hellmark«, erklang
ihre leise, müde Stimme hinter dem feinen schwarzen Gespinst.
»Kennan ist ein Mensch, der unwillkürlich die
Aufmerksamkeit auf sich zieht. Sie müssen ihn mal erleben, wenn
er erzählt. Er kann mitreißen. Wie ein orientalischer
Märchenerzähler zieht er die Zuhörer in seinen Bann.
Eine merkwürdige Kraft geht von ihm aus. Immer wenn er hier
auftauchte – das geschah nicht oft in meinem Leben – war
etwas Besonderes los. Eigenartig! Unheimlich!«
»Was finden Sie eigenartig und unheimlich, Misses
Lowestone?«
Sie stand hinter dem zugezogenen Fenster. Draußen war noch
heller Tag. Die Sonne vergoldete die Bergspitzen im Osten. Wie auf
einer Leinwand waren Benjamin Kennan und
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