Macabros 019: Im Schlund der Höllenschlange
sein Sohn draußen
wahrzunehmen. »Wenn er hier auftauchte – passierte etwas.
Als er das erste Mal hier war – das liegt jetzt dreißig
Jahre zurück – stand die Geburt meines Kindes unmittelbar
bevor. In der Nacht nach Kennans Ankunft erlitt ich eine Fehlgeburt.
Ich verlor mein Kind. Zwei Tage später reiste Kennan wieder ab.
Er wollte nach Mexiko. Fünfzehn Jahre später tauchte er wie
aus dem Boden gewachsen wieder hier auf. Rich war glücklich, ihn
wiederzusehen. Bis tief in die Nacht hinein saßen sie zusammen.
Er erzählte von seinen Erlebnissen, und Abenteuern. Ich glaube,
Rich beneidete ihn ob seiner grenzenlosen Freiheit, die es für
ihn zu geben schien. Ich ging früher zu Bett und wurde bald
wach. Es herrschte große Aufregung. Ein Feuerschein! Ein Teil
des Gästehauses stand in Flammen. Rich und Benjamin Kennan waren
beim Löschen. Alle Cowboys wurden zusammengetrommelt. Die
Wassereimer gingen von Hand zu Hand. Wir schafften es, das Feuer
unter Kontrolle zu bringen, ehe das Gästehaus völlig ein
Raub der Flammen wurde und auf das Wohnhaus übergriff. Ein
Unglück war geschehen. Eine achtlos weggeworfene Kippe hatte den
Brand ausgelöst. Wir hatten seinerzeit viele Fremdarbeiter auf
der Farm, die nur stunden- oder tageweise blieben. Wir konnten den
Sünder, der durch seine Unachtsamkeit beinahe alles
zerstört hätte, nicht ausfindig machen. Wieder mal war
Kennan hiergewesen – und prompt war etwas passiert! Es scheint,
als ob dieser Mann, gegen den ich nichts habe, der ein netter Mensch
ist, den Rich als seinen einzigen wirklichen Freund bezeichnete, was
viel bedeuten will, das Unglück hinter sich
herschleift.«
Anne Lowestone schluckte. Ihre Stimme versagte ihr den Dienst.
Etwas ganz Bestimmtes schien der Witwe in den Kopf zu kommen. Tonlos
fuhr sie schließlich fort: »Heute um die Mittagszeit traf
er hier ein… er stand plötzlich vor der Tür…
nervös, unruhig… ich glaube, ich habe leise aufgeschrien,
als er so unerwartet hier eindrang. Er griff nach meiner Hand,
drückte sie lange, fest und stumm, als wisse er alles und
spreche mir sein Beileid aus.«
»Sie gingen schwarz«, bemerkte Hellmark. »Er
muß sofort erkannt haben, was los war.«
Anne Lowestone nickte. »Das habe ich mir auch erst gesagt.
Doch dann kamen mir seine Worte in den Sinn. Er hat es gewußt.
Er sagte nämlich: ›Diesmal komme ich zu spät –
genau einen Tag. Es tut mir so leid, Anne!‹«
*
»Ich habe eine Bitte, Mrs. Lowestone.«
»Ja, Mister Hellmark?«
»Morgen, wenn alles vorüber ist, vielleicht könnte
ich mich hier auf dem Anwesen und in der Umgebung etwas näher
umsehen. Würden Sie mir Ihre Erlaubnis dazu geben?«
»Natürlich, Mister Hellmark.«
»Wir werden morgen zur Beisetzung kommen.«
»Sie können sich die lange Anfahrt sparen«, sagte
Anne Lowestone. »Bleiben Sie doch hier!«
»Sie haben schon genug Arbeit. Die vielen Gäste, da
wollen wir nicht…«
»Unsinn!« fiel sie ihm ins Wort. »Sie stören
nicht. Hier haben schon halbe Armeen übernachtet. Was denken
Sie, was hier los war, wenn es darum ging, eine besonders gute Ernte
so schnell wie möglich einzubringen und dem Wetter ein
Schnippchen zu schlagen? Da waren fünfzig, sechzig Mann
beschäftigt. Die haben wir alle untergebracht und verpflegt.
Bleiben Sie hier, und Ihre Freundin auch! Ich bin sicher, im Sinne
meines Mannes zu handeln. Sie hatten sein volles Vertrauen. Wenn er
Sie eingeladen hat, wenn Sie sich mit ihm aussprechen wollten, dann
wird er seine Gründe gehabt haben. Ich glaube, daß er
Ihnen mehr anvertraut hat als mir. Richs Leben ist von einem
Geheimnis überschattet. Das weiß ich nun. Wenn ich jetzt
zurückblicke und mir verschiedene Dinge durch den Kopf gehen
lasse, dann muß ich feststellen, daß es viele
Merkwürdigkeiten in meinem Zusammensein mit Richard Lowestone
gibt. Auch die Rolle, die Benjamin Kennan darin spielt, wird ihre
Bedeutung haben, und wenn Sie glauben, daß mit seinem Tod etwas
nicht in Ordnung ist: bitte, mein Haus steht Ihnen offen! Sehen Sie
sich überall um! Sollten Sie irgend etwas entdecken, was Ihnen
als Beweis dienen kann, daß Rich auf unnatürliche Weise
starb – und ich glaube, daß es so war –, dann finden
Sie ihn heraus!«
Anne Lowestone war eine tapfere Frau und merkte, worauf es ihm
ankam.
*
Die Witwe ließ sie direkt im Wohnhaus übernachten.
Das war eine besondere Ehre, die Björn zu schätzen
wußte.
Ein Stock höher, unter dem Dach, lagen Zimmer, die
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