Macabros 019: Im Schlund der Höllenschlange
wie eine
Schlafwandlerin und schien nicht zu begreifen, daß der
Lebensgefährte starr und stumm auf der Bahre lag und nicht mehr
zurückkehrte.
Anne Lowestone redete sich selbst einige Dinge vom Herzen. Die
beruhigende, sympathische Art des jungen Besuchers veranlagte sie,
stärker aus sich herauszugehen, als sie es möglicherweise
sonst getan hätte.
Sie berichtete stockend und mit müder, tonloser Stimme.
»Er war so verändert – er schien einen Feind in mir
zu sehen. Ich habe nie einen Besessenen gekannt, doch jetzt kann ich
mir vorstellen, wie sie aussehen und wie sie sich verhalten. Rich war
nicht mehr er selbst. Zum Schluß war es, als kämpfe er
gegen alles und jeden, als wäre er umringt von unsichtbaren
Geistern, die ihn folterten.«
Björn wurde hellhörig. »Sie wissen von unserem
Briefwechsel«, begann er vorsichtig. »Wissen Sie, womit
sich Ihr Mann in der letzten Zeit besonders befaßte?«
»Nein, Mister Hellmark. Er hat mich nie in Dinge eingeweiht,
die sein ganz persönliches Metier waren.«
»Das ist seltsam.« Björn hatte Lowestone eigentlich
anders eingeschätzt. In seinen Briefen zumindest hatte er
ziemlich ausführlich und freimütig über seine
magischen und okkulten Versuche berichtet und berief sich auf die
Talente seiner Vorfahren, die durch einen geheimnisvollen,
unbekannten Stein in die Lage versetzt worden waren, Unheil
abzuwehren und Krankheiten zu heilen, die von den Ärzten als
unheilbar angesehen wurden.
»Ja, er konnte manchmal recht schweigsam sein«, kam es
versonnen über ihre Lippen.
»Wann genau haben die gesundheitlichen Beschwerden bei Ihrem
Gatten angefangen, Misses Lowestone?«
»Vor einem Monat.«
Genau da hatte ihr Briefwechsel begonnen, dachte Björn.
Bestand zwischen den gesundheitlichen Störungen Richard
Lowestones und seiner Kontaktaufnahme mit Hellmark ein Zusammenhang?
Kein Arzt, kein Kriminalbeamter, der in Lowestones Tod etwas
Unnatürliches gesehen hätte, wäre auf den Gedanken
gekommen, die Dinge auf diese Weise anzugehen.
Aber Björn Hellmark tat es.
Wo immer Menschen sich mit Übernatürlichem abgaben, war
besondere Vorsicht geboten und waren die Gedanken berechtigt, die ihm
jetzt durch den Kopf gingen. Wesenloses umgab sie alle in jeder
Sekunde ihres Lebens. Die unsichtbaren Geister beobachten, lauern und
zerstören. War es ihre Absicht gewesen, eine Begegnung zwischen
Hellmark und Lowestone zu verhindern?
Björn sprach offen darüber. Diese Offenheit gefiel der
Witwe. Und plötzlich griff sie nach ihrem Schleier und hob ihn
leicht an. »Vielleicht sollten Sie auch das sehen«, sagte
sie leise. »Ich wollte nicht, daß jeder mich so sieht.
Behalten Sie es für sich! Sprechen Sie mit niemand darüber,
bitte!«
Er sah ihre ramponierten Züge. Die Haut war aufgekratzt und
aufgeplatzt und schillerte in allen Regenbogenfarben.
Deshalb der Schleier! Auch innerhalb des Hauses, um die Besucher
nicht zu schockieren und sie daran zu hindern, Fragen zu stellen.
»Rich war eine Seele von Mensch«, flüsterte sie,
während sie schnell den schwarzen Schleier wieder herunternahm.
»Er tat keiner Fliege etwas zuleide. Mich aber hat er
unmittelbar vor Eintritt seines Todes getreten und geschlagen, als
wäre ich der letzte Dreck und müsse er alle Aggressionen,
die er zeit seines Lebens aufgestaut hatte, loswerden. Verstehen Sie
das, Mister Hellmark?«
*
Nein, das verstand er nicht. Wenn er sich Lowestones Charakter vor
Augen hielt, wie er ihn durch Briefe und die Unterhaltung mit seiner
Witwe bannte, dann bestand ein eklatanter Widerspruch.
Ein ruhiger, besonnener Mensch wurde zu einer Furie…
Satanische Kräfte tobten sich aus. Hatte er sie beschworen?
Waren sie von selbst gekommen? Hatte er einen Fehler gemacht?
Die plötzlich eintretenden körperlichen Beschwerden
schienen ein sichtbares Zeichen dafür, daß er seine
Kräfte unterschätzt und sich übernommen hatte und
daß das andere, das Unsichtbare, das allgegenwärtig
existierte, zupackte, wenn der richtige Zeitpunkt gekommen
schien.
Björn Hellmark kam noch mal auf den gesundheitlichen Zustand
zu sprechen. »Ihr Mann war doch sicher in ärztlicher
Behandlung gewesen?«
»Ja.«
»Es erfolgten eingehende Untersuchungen?«
»Ja. Dr. Mallow verschrieb ihm ein herzstärkendes
Mittel, das er immer dann einnahm, wenn er sich schwach und elend
fühlte. Ein Mann, der sein Leben lang kerngesund gewesen ist,
der mal einen Schnupfen hatte und mehr nicht, schluckt
fläschchenweise Medizin,
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