Macabros 019: Im Schlund der Höllenschlange
meine
Befürchtungen Richard mit. Der winkte ab. Er wußte,
daß ich mit meinen Vorahnungen schon oft recht gehabt hatte.
Plötzlich sind die Bilder da. Ich habe keine Erklärung
dafür. Ich weiß mit Sicherheit: dies und jenes wird
eintreten. Eine solche Ahnung kann im Wachzustand auftreten oder auch
im Traum. Ich sah, daß Anne ihr Kind verlieren und daß
die Ehe kinderlos bleiben würde. ›Anne ist in
ständiger Behandlung, Ben‹ sagte Richard in jener Nacht zu
mir. ›Mit ihr ist alles in Ordnung. Ich hoffe, daß es ein
Sohn wird.‹ Es wurde ein Sohn, aber er war nicht
lebensfähig. Das Erlebnis war ein Schock für die Lowestones
und besonders für Richard, der seiner Frau nie sagte, daß
er im voraus von dem Unglück erfahren hatte. Er machte sich
Vorwürfe, daß er nichts unternommen hatte. Vielleicht
hätte ein Arzt noch etwas tun können, aber ich bezweifle
das. In der damaligen Zeit. Da war die Medizin noch nicht soweit. Ich
blieb eine, Woche, bekam die Weinkrämpfe und das Leid Annes mit.
Sie hatte sich so sehr ein Kind gewünscht. Aber es hat nicht
sein sollen. Fünfzehn Jähre später… Ich war in
Indien und China, in der Mongolei und in Tibet gewesen. Und wieder
trieb es mich nach Hause, hierher, wo ich mit Richard groß
geworden war, wo wir gemeinsam Streiche ausgeheckt und eine so
unbeschwerte, herrliche Jugendzeit verbracht hatten. Es war, als ob
ein Vogel fühlt, daß er einen langen Flug machen
muß, um in wärmere Gefilde zu kommen. Ich wollte mal
wieder nach Hause. Aber ich wollte nicht bleiben. Das liegt mir so im
Blut. Immer wieder treibt es mich fort an einen anderen Ort. Ich
trampte nach New York. Zu Fuß, per Schiff, mit dem Auto, mit
der Bahn. Von dort aus reiste ich nach Kalifornien. Immer wieder sah
ich in dieser Zeit den gleichen Traum: Ich sah Lowestones Haus und
alle Nebengebäude in Flammen stehen. Einmal rief ich von
unterwegs aus an. Ich teilte so beiläufig mit, daß ich mal
wieder im Land sei und erkundigte mich, wie man sich nach dem
Befinden alter Freunde erkundigt, die man viele Jahre nicht gesehen
hat. Aber ich hatte dabei einen Hintergedanken: war etwas passiert?
Richard machte einen guten Eindruck und sagte kein Wort davon,
daß er in der letzten Zeit durch irgendein Unglück
heimgesucht worden war. Ich versprach zu kommen. Eine Woche
später stand ich vor der Haustür. Große
Wiedersehensfreude. Wir plauderten bis in die Nacht hinein. Da packt
es mich plötzlich. Ich muß es ihm sagen. Ich sehe das
Feuer riesengroß vor mir, spüre die sengende Hitze. Ich
warne ihn. Das Gefühl, es müsse jeden Augenblick so weit
sein, daß uns das Dach über dem Kopf zusammenbricht,
ergreift mich. Wir laufen hinaus. Zur rechten Zeit. Im Gästehaus
beginnt es zu brennen. Niemand hatte etwas bemerkt. Der Dachstuhl
steht in hellen Flammen. Es geht noch mal gut.«
»Sie sind ein merkwürdiger Mensch, Mister Kennan«,
kam es leise über Macabros’ Lippen.
»Ich bin ein Mensch wie jeder andere auch. Vielleicht ein
bißchen ruhelos und abenteuerlustiger als andere. Was ich
fühle, ist nichts Besonderes. Viele Menschen haben solche
Vorahnungen, aber sie achten nicht darauf, sie verschütten ihre
Intuitionen. Würden sie nur mehr auf ihre inneren Stimmen
hören. Es ist der alte Instinkt, den wir von unseren
Vorvätern geerbt haben. Unsere scheinbar sichere Zeit, die
bewältigte Umwelt, die um sich greifende, beherrschende Technik,
macht alles so leicht für uns. Das glauben wir. Wir sind der
Natur mehr verhaftet, als in unsere Köpfe will. Wir studieren
den Flug der Vögel und begreifen im Prinzip doch nicht, wie er
zustande kommt. Instinkt, sagen wir. Was aber ist Instinkt? Instinkt
– auch meine Vorahnungen? Wieviel Menschen fühlen
tagtäglich, heute ist etwas Besonderes: Überquere nicht die
Straße an dieser Ecke! Eine Warnung, eine innere Stimme. Sie
wird überhört. An der gleichen Ecke geschieht das
Unglück. Bei der Lotterie: Diese Zahlen schießt es dem
einen oder anderen durch den Kopf, diese Zahlen könnten es sein.
Der so denkt, greift aber dann doch zu einem anderen Los oder kreuzt
andere Zahlen an. Falsche! Die anderen hätten ihm das Glück
gebracht, wie er am nächsten Wochenende feststellen kann.
Sternstunden des Augenblicks! Forscher und Maler haben sie,
Schriftsteller und Musiker, Entdecker, Staatsmänner und
Feldherren. Töten sie die Intuition – zerstören sie
den entscheidenden, unwiederbringlichen Augenblick! Jeder erlebt das
auf seine Weise. Auch diesmal wieder bin
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