Macabros 020: Die Blutgärten von Sodom
Erwartungen in
ihn gesetzt und er war ehrgeizig genug, diese Erwartungen
erfüllen zu wollen. Thor Lannerström war nur eine Station
auf diesem Weg. Es ging im Prinzip nicht um Lannerström. Der war
ihnen gewiß, der konnte nicht mehr zurück.
Jetzt ging es um Hellmark. So dicht vor der Falle, aber noch war
nichts verloren.
Kharzums bizarrer Körper teilte den giftgrünen Nebel,
und seine furchtbaren Augen glühten in wildem Feuer. Er war ein
Mittelding zwischen Mensch und Bestie und ähnelte den
schrecklichen Gestalten, die ein Wahnsinniger mit seiner krankhaften
Phantasie zu Papier bringen mochte.
Kharzums drittes Auge, das wie bei einem Zyklop mitten auf der
Stirn saß, war rund, lidlos und blutunterlaufen. In den
Pupillen zeigten sich wie in einem Spiegel, die Bilder, die er sah.
Nicht die Umgebung dieser Welt zeigte sich darin, sondern die Szene
aus einer anderen. Er sah den Kellerraum vor sich, als befände
sich ein riesiges Loch in der Decke. Er sah den gebeugt stehenden
Lannerström, erkannte Alan Kennan und Björn Hellmark, den
Feind der Dämonen.
Die Nähe dieses Mannes allein fürchtete Kharzum. Aber er
würde sich ihm nicht nähern, dazu war er zu vorsichtig.
Und doch: er wollte sie alle drei ins Verderben führen. Die
Gelegenheit war günstig. Hellmark war auf der Suche nach dem
dritten Auge, wohl wissend, daß es sich in greifbarer Nähe
befand. Aber es durfte ihm nicht in die Hände fallen. Es
gehörte ihm, Kharzum.
Er würde es sich holen.
Gleichzeitig hatte er eine Idee, um Hellmark ins Verderben zu
führen. Er mußte nur dazu veranlaßt werden, einen
bestimmten Weg zu gehen, und Kharzum wußte wie…
Aber erst das Auge!
Die klauenartige Hand des überdimensionalen, furchterregenden
Wesens stieß nach vorn…
*
… und in den geheimen Kellerraum des alten Schweden schien
der Blitz einzuschlagen!
Die Decke über ihnen erzitterte, die Tür klapperte im
Rahmen.
Lannerström prallte zurück.
Björns Blick ging zu der Tür, hinter der sich die
Geräusche austobten.
Er zögerte keine Sekunde. Wie eine Raubkatze warf er seinen
sportlich durchtrainierten Körper nach vorn, riß im Lauf
die Dämonenmaske aus der Tasche und stülpte sie sich
über.
Lannerström fielen fast die Augen aus den Höhlen, als er
die Veränderung sah, die mit Hellmark vor sich ging.
Der Kopf des Deutschen veränderte sich. Weiß und kahl
schimmerten die Knochen im flackernden Licht der Laterne.
Lannerström stand so nahe an der Tür, daß ihm keine
Einzelheit entging.
Auf Hellmarks Schultern saß ein Totenkopf. Aber er war mehr
als eine Maske. Sie war nicht starr, sie lebte. Die Augen
glühten wie Kohlen!
Ein Totenkopf auf den Schultern eines lebenden Menschen!
Der Schädel – ein Symbol des Todes für menschliche
Augen, eine Waffe, die Dämonen vernichtete, denn kein Mensch
hatte bisher ergründen können, was Dämonen darin
sahen. Der Anblick war so schrecklich, daß ihr Körper
verging. Ein Mensch hätte das wahre Bild der Maske ebenfalls
nicht ertragen.
Björn riß an der Tür. Verschlossen! Einmal,
zweimal, drehte er den steckenden Schlüssel herum.
Er stieß die Tür nach innen. Da herrschte schon wieder
Stille. Es war alles blitzschnell gegangen.
Das Innere des geheimen Kultkellers bot ein Bild der
Verwüstung.
Der knöcherne Rahmen war zersplittert, das Netz zerrissen.
Die schwarzen Kerzen sahen aus, als wären sie mit einem
Fleischermesser kleingehackt worden.
Die morsche Decke war vom Fenster gerissen, und trübes Licht
sickerte durch die schmutzigen Scheiben.
Nichts mehr war hier unten ganz.
Selbst der Stuhl war zerschmettert und die Tischplatte geborsten.
Dämonen hatten sich ausgetobt.
Lannerströms Blicke suchten den faustgroßen, blutroten
Stein, aus dem immer die Stimme gekommen war.
»Das Auge…« murmelte er entsetzt.
»Es ist verschwunden«, sagte Björn Hellmark
rauh.
*
Der Unsichtbare, Unheimliche hatte sich geholt, was ihm
gehörte.
Resigniert zog Hellmark die Maske vom Kopf. Sein sympathisches,
jugendliches Gesicht kam wieder zum Vorschein. Die Maske in seinen
Händen war nur noch ein grau-braunes, an einen etwas grob
gewebten Damenstrumpf erinnerndes Etwas, das er zusammenlegte und
wieder wie in Taschentuch einsteckte.
Nur einen Atemzug lang hatte der Angriff aus dem Schattenreich
gedauert. Doch Zeit genug, um das Auge aus dem Diesseits in die
jenseitige Welt zu holen.
So dicht vor dem Ziel waren sie gewesen.
»Es tut mir leid, es tut mir so leid.«
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