Macabros 027: Totenbarke nach Xantilon
murmelte
sie.
»Geliebt haben, Cindy? Ich liebe sie noch immer. Und deshalb
war ich bei ihr.«
Sie dachte, er spricht verworren und meint, er hat sich ihre
Bilder angesehen. Es hingen sehr viele Bilder von Eliza drüben
im Zimmer, aber das erklärte immer noch nicht, weshalb sie ihn
vorhin nicht gesehen hatte!
»Ich muß weit ausholen. Hör mir gut zu! Unterbrich
mich bitte nicht!« Fred Reedstone sprach sehr ruhig. Er
berichtete von seiner Operation und erzählte noch mal alles, was
er durchgemacht hatte. Er sprach von seinem Besuch bei Dr. Warlock
und den Bildern, die er gesehen hätte, den Geräuschen und
Worten, die er vernahm. Es waren Bilder aus einer anderen Zeit. Davon
ging er nicht ab. »Bis vor wenigen Stunden wußte ich noch
nichts Genaues mit meiner neuen Gabe anzufangen«, fuhr er fort.
»Die Operation hat eine Veränderung meiner Psyche und
meines Geistes bewirkt, Cindy. Warlock scheint etwas vermutet oder
vielleicht sogar erwartet haben, als er mich seinerzeit entließ
und mich darum bat, mich von Zeit zu Zeit bei ihm vorzustellen. Aber
offenbar hat er nicht mit dem gerechnet, was nun eingetreten ist. Ich
bin nur ein Laie, ich kann das, was ich empfinde und glaube nicht
wissenschaftlich begründen. Aber darauf kommt es mir auch gar
nicht an. Mein Leben ist nach der Krankheit anders geworden. Es wurde
bereichert. Die Operation hat mich zu einem anderen Menschen werden
lassen. Ich fing an, das Dasein mit anderen Augen zu sehen. Aber das
ist nur eine Randerscheinung. Das wichtigste sind die Gaben –
oder vielmehr die eine bestimmte, die sich immer mehr entwickelte und
mir immer klarer wird. Ich wurde mit neuen Präparaten behandelt,
welche die Durchblutung förderten, welche spezifisch auf das
Gehirngewebe einwirkten. Zellen, die verkümmert waren oder
degeneriert – wurden mitbehandelt. Vielleicht war das eine
Absicht Warlocks, vielleicht geschah es auch durch Zufall. Das
interessiert mich nicht. Sicher bin ich mir mit folgender Annahme: In
jedem Menschen sind jene Zellen vorhanden, aber eben verkümmert.
Jeder verfügt über gewisse geistige Gaben, die er im Lauf
seines Lebens mehr oder weniger weiter verkümmern
läßt, – oder die er trainiert und entwickelt. Es gab
immer Ausnahmen: erinnere dich an die Menschen, die behaupten, in die
Zukunft sehen zu können; erinnere dich an die parapsychische
Phänomene, die in einem Fernsehprogramm sogar untersucht wurden,
erinnere dich an die Medien, die es gibt, die mit Verstorbenen in
Kontakt treten können. Menschen aus Fleisch und Blut, die eine
geistige Kraft beherrschen.« Er unterbrach sich und griff nach
dem Glas, das Cindy Pearson mit zittriger Hand vollgeschenkt
hatte.
Fred Reedstone nippte nur daran.
»Willst du damit sagen, daß du dich auf Grund der
Veränderungen, die in deinem Hirn stattgefunden haben,
unsichtbar machen kannst?« Sie hatte es eigentlich nicht so
formulieren wollen, aber sie konnte nicht anders.
»Das trifft nicht die ganze Wahrheit. Bis zu meinem Besuch
heute abend hier war ich nur Empfänger und konnte Dinge
wahrnehmen, von denen ich wußte, daß es sie gibt,
daß sie aber weit zurückliegen. Wenn ich nun darüber
nachdenke, werden die Bilder und Empfindungen schwächer. Es ist,
als würde man nach langer Zeit über eine schwere Krankheit
nachdenken, die man irgendwann mal durchmachte. Man weiß:
damals war das so und so gewesen, so und so hast du dich
gefühlt, aber ganz kriegt man die Stimmungen und Gefühle
doch nicht mehr zusammen. Und vielleicht ist das ganz gut so. So
ergeht es mir nun schon mit den Bildern aus der Vergangenheit, die
ich vor wenigen Stunden noch detailliert Warlock vermitteln konnte.
Aber was weiß ich jetzt von diesen Ereignissen? Es ist, als
würde ich versuchen, einen Traum wiederzugeben, der mehr und
mehr schwindet. Ich weiß etwas von einem Björn Hellmark,
einem Mann, der an zwei Orten zur gleichen Zeit sein, der einen
Doppelkörper aussenden kann und durch finstere Mächte in
eine Falle gelockt wurde. Dieser Mann liegt begraben in einem
Erdspalt, ich weiß nicht, ob er noch lebt. Das Erdbeben hat die
Begleiter getrennt. In der Dunkelheit wurden sie wie von einer
Riesenfaust durcheinandergewirbelt, sie haben sich verloren. Sie
irren, wenn ich mich recht besinne, durch eine feindliche Welt, in
der es Geister und Dämonen, Magier und Göttinnen, Ungeheuer
und Helden gibt. Wovon wir in Sägen und Märchen gelesen
haben, und was nie ein Mensch für voll genommen hat, hätte
ich vor Stunden noch
Weitere Kostenlose Bücher