Macabros 027: Totenbarke nach Xantilon
Rot, das aussah wie das Blut aus den Wunden der
Millionen, die hier in den Barken und Totengrüften warteten.
Der Fuß des Alten sank nicht ein, das besondere Wasser im
Reich der Toten schien zu einem festen Untergrund für ihn zu
werden. Er näherte sich der frei schwimmenden Barke, stieg ein,
ohne daß sein Gewand benetzt worden wäre, und hockte sich
in den Bug des Totenschiffes.
Sein ernstes Gesicht blieb unbeweglich wie eine Maske, und nur die
dunklen, tiefliegenden Augen darin schienen zu leben.
Er tauchte den langen Stab in das dunkelrote Wasser, auf dem die
schwarzen Schatten tanzten, und es war deutlich zu sehen, daß
mehr als Zweidrittel des Stabes versanken. Fest umspannten die
Hände des Fährmannes den Stab, so daß die
Knöchel hart und weiß hervortraten.
Das grünliche Leuchten des knöchernen Gespinstes erlosch
in dem Augenblick, als der Fährmann Druck auf den Stab
ausübte und die Barke langsam herumschwenkte.
Sicher steuerte er sie zwischen den anderen Barken hindurch und
blieb im ufernahen Bereich des Totengewässers. Er lenkte die
Barke auf den sanft fließenden Wasserfall zu, der wie ein Tor
zu einer anderen Welt wirkte.
Hier verengte sich das Fahrwasser und wurde zu einer schmalen Bahn
zwischen den Felsen, zu einem Fluß, der gerade so breit war,
daß immer nur eine Barke Platz hatte, darauf zu fahren.
Macabros fiel auf, daß nur jene Barken, in denen die
gerüsteten Toten angekettet waren, sich auf den Weg zu dem
rätselhaften Wasserfall machten. Ein Totenschiff nach dem
anderen tauchte dort ein, verschwand und kehrte nicht wieder
zurück. Jetzt war das an der Reihe, in dem Throx, der
Kämpfer, seinen Platz gefunden hatte.
Das Wasser rieselte auf sie herab. Ihre Körper wurden
benetzt, und nur der schweigsame Fährmann blieb wie durch ein
Wunder trocken.
Aber das alles nahm Macabros schon nicht mehr wahr.
Er konnte nicht hinter den Wasservorhang sehen – und was dort
geschah…
*
Es war, als ob neues Leben, neue Kraft durch seine Adern
ströme.
Throx schlug die Augen auf.
War es ein Traum, war es Wirklichkeit?
Er glaubte zu schweben. Er sah eine faszinierende, traumhafte
Welt.
Es schimmerte und glitzerte rundum, als würde die ganze Welt
aus Diamanten und Brillanten bestehen. Fremdartige Tropfsteine ragten
von der Decke herab und bildeten ein einziges, verwirrendes
Farbenspiel. Stalagmiten wuchsen aus dem dunkelroten Wasser und
verengten die Wasserstraße. Die Barke schien mehr als einmal in
Gefahr zu geraten, auf dem schnell dahin strömenden Wasser gegen
eine der riesigen Stalagmiten geworfen zu werden und dort zu
zerschmettern.
Aber der alte Fährmann, der diesen Weg schon mehr als
tausendmal gefahren war, versagte auch diesmal nicht. Er steuerte die
Barke und die Fracht sicher und gekonnt durch die Engpässe, und
sie erreichten bald jenseits des lebensspendenden Vorhangs das offene
Meer der Toten.
Throx ließ den Blick in die Runde schweifen und registrierte
die Bewegungen neben sich und sah, daß auch die anderen, die
mit ihm an die Masten gekettet waren, kraftvoll atmeten, daß
ihre Augen glänzten und sie verstohlen nach den Griffen der
Schwerter tasteten, die in ihrem Gürtel steckten.
Throx konnte das Heer der Krieger, die aus dem Jenseits
zurückgeholt wurden, und die schwarzen Barken nicht zählen,
die vor ihm herschwammen.
Eine ganze Armada war in Bewegung geraten und dazu auserkoren,
gegen die lebensfeindlichen Dämonen, die auch den Tod unsicher
machten, anzutreten.
Man brauchte es ihm nicht extra zu erzählen, er wußte
es aus den phantastischen Erzählungen der Dorfältesten und
Priester, denen er als Junge so oft und gern gelauscht hatte.
Wer mal freiwillig ins Totenreich gekommen war, wurde behandelt
wie diejenigen, deren Zeit im Diesseits abgelaufen war. In der
großen Stunde der Entscheidung wurde jede Hand gebraucht.
Jeder, der ein Schwert halten konnte, wurde nach Xantilon
geschifft.
Fest umklammerte er den Griff seines Schwertes, und ein verwegener
Zug trat auf seine Lippen, denen plötzlich ein überraschter
Ruf entrann.
»Viona!«
Es brach förmlich aus ihm heraus. Wegen ihr war er
hierhergekommen, zu einer Zeit, da die Gesetze nicht mehr stimmten,
und er hoffte, von diesem Durcheinander Gebrauch machen und Viona
zurückfordern zu können.
Da vorn – in einer der Barken – sah er sie.
Auch sie war – wie er – an einen der schwarzen Masten
angekettet. Ihr langes, wie schimmerndes Gold wirkendes Haar
berührte ihre zarten Brüste
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