Macabros 032: Kreatur der Verdammnis
wieder. Sie träumte dann, allein durch
eine furchtbare, apokalyptische Landschaft zu streifen. Dabei merkte
sie ihren eigenartig schaukelnden Gang, und es kam ihr vor, daß
sie kein Mensch mehr sei, sondern ein Tier, eine riesige, mordgierige
Spinne auf der Suche nach einem Opfer.
*
Auch jetzt drängten sich ihr diese Bilder wieder auf. Je
öfter der Traum auftauchte, desto erschreckter war Carminia am
nächsten Morgen und desto intensiver fühlte sie, daß
eine Veränderung mit ihr vorgegangen war.
Seit ihrem Besuch damals in London, seit ihrem Zusammentreffen mit
Helen Carter und den mysteriösen Ereignissen um ihre Person
hatte auch ihr Leben sich verändert.
Es war ihr, als befände sich seit jener Zeit etwas in ihrem
Blut, das zuvor nicht Bestandteil gewesen war. Und diese
geheimnisvolle Substanz treibe sie zu jener Unruhe, unter der sie
stand, und die sie weder mit erzwungener Ruhe noch mit Medikamenten
bekämpfen konnte.
Ich bin kein Mensch mehr… ich fühle es… wisperten
ihre Gedanken. Wer oder was bin ich? Wer hat was aus mir gemacht?
Panische Angst griff plötzlich nach ihrem Herzen, und der
Schweiß brach ihr aus. Ein Schwächeanfall zwang sie dazu,
sich zu setzen. Ihr Herz schlug wie rasend, ihr Atem flog. So fing es
immer an. Etwas in ihr meldete sich. Sie wehrte sich gegen das Fremde
und setzte ihren ganzen Willen dagegen.
Draußen dämmerte es.
Der Himmel war klar und wolkenlos. Auch heute würde wieder
eine Vollmondnacht sein.
Der Wunsch das Haus zu verlassen, wurde in Carminia wach. Ich
muß einen Spaziergang machen! hämmerten die Gedanken in
ihrem Bewußtsein. Das wird mir guttun.
Die Brasilianerin erhob sich und wankte zur offenen
Terrassentür. Hier, inmitten eines großen,
parkähnlichen Gartens, herrschte jene wohltuende Stille, die den
Städten verlorengegangen war.
Die schlanke Frau atmete tief die würzige Luft, und gleich
wurde ihr besser.
Die frische Atmosphäre schien auch die trüben Gedanken
aus ihrem Kopf zu vertreiben, sie konnte klarer denken.
Bilder zogen an ihrem geistigen Auge vorüber.
Ein großes, stilles Wasser, ein See… rotglühend
stand ein gewaltiger Mond darüber, als wolle er jeden Augenblick
in dem Wasser versinken. Eine Landschaft in einem eigenartigen Licht.
Fremdartig, unirdisch… und doch irgendwie vertraut.
Der See war dem Genfer See ähnlich. Die Buchten, die Wege am
Ufer entlang, die lauschigen Plätze hinter Büschen und
Sträuchern. Und irgendwo ein Grab… Carminia Brado fuhr
unwillkürlich zusammen. Kein Grab wie auf dem Friedhof…
dort gab es einfach ein Loch in der Erde, und darin verscharrt lag
ein Mensch.
Urplötzlich standen die Bilder vor ihr, und sie stieß
heftig die Luft durch die Nase, als sie daran dachte, daß es
genau dieses Bild war, an das sie sich unbedingt hatte erinnern
wollen.
Ein Bild aus einem Traum – oder aus der Wirklichkeit?
Carminia wußte es nicht, sie wollte es aber endlich genau
wissen.
Sie mußte es wissen, bevor die Dunkelheit erneut
hereinbrach, denn irgend etwas in ihrem Innern sagte ihr, daß
das, was in der letzten Nacht geschehen war – oder geträumt
wurde? – bedeutungsvoll ihr Schicksal bestimmte.
Der See mit dem riesigen Mond konnte der Genfer See sein. Carminia
hatte ihm nur in einem anderen Licht und einer anderen Stimmung
erlebt. Der Mann am See… er war vor ihr davongelaufen. Vor einer
riesigen Spinne, die blitzschnell auf ihren acht Beinen hinter ihm
herlief und ihn zu Boden warf.
Der Mann wehrte sich noch. Aber vergebens! Dann erfolgten
Geräusche… viele Beine, viele Schritte. Jemand näherte
sich der Bucht. Männer in Uniformen, Polizisten…
Für den Bruchteil eines Augenblicks stand wieder alles
eindeutig und leuchtend klar vor ihr, dann lösten sich die
Bilder auf.
Carminia Brado preßte die Hände vor die Augen, und ein
trockenes Schluchzen schüttelte ihre schmalen Schultern.
Was war nur los mit ihr? Immer wieder die gleiche Frage, die sie
sich stellte. Eben noch hätte sie eine Antwort darauf
gewußt. Eine ferne Ahnung stieg in ihr auf… sie wurde
manipuliert, ihr Geist langsam aber systematisch zerstört. Das
Amulett, das Björn ihr anvertraut hatte, schien nicht die
Wirkung zu haben, von der er überzeugt gewesen war.
Dämonen hatten sich ihrer bemächtigt und nutzten sie aus
– war es so oder nicht?
Die Feinde aus der Finsternis führten sie wie eine Marionette
und ließen sie spüren, daß ihr Leben sich
verändert hatte. Hellmark war nicht mehr da, lebte
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