Macabros 040: Tal der tausend Foltern
Zischen der
überdimensionale Halm.
Aleana und Ka-To verschwanden im Innern des Halms, der wie eine
fleischfressende Pflanze seine Opfer aufnahm.
Hellmark war nur noch halb bei Sinnen, befand sich in einem
Zustand zwischen Traum und Wachen. Es fiel ihm von Mal zu Mal
schwerer, einen klaren Gedanken zu fassen.
Als er jetzt die Hände von den Ohren nahm, um sein Schwert
aus dem Gürtel zu reißen, da traf ihn der hypnotische
Gesang mit seiner ganzen Wucht.
Er drehte sich im Kreise, als könne er seine Glieder nicht
mehr ruhig halten, als müsse er sich drehen nach der Musik.
Er aber wollte Ka-To befreien.
Da gellte Danielles Schrei. Die Stimmen verebbten wimmernd. Nur
noch Danielle de Barteaulieés Schrei hing in der Luft.
Hellmark wirbelte herum, stand wie vom Donner gerührt und
sah, wie die junge Französin von nebelhaft bleichen, langen,
dürren Händen gepackt und in die Höhe gerissen wurde.
Die Nebelhände waren Auswüchse an einem Rippengebilde, das
entfernte Ähnlichkeit mit einem Farn hatte.
Danielle schwebte in der Luft, ruderte mit Händen und
Füßen. Faserartige Fäden schnellten aus den bleichen
Rippen auf sie zu verschlossen ihr Mund und Nase, so daß sie
nicht mehr schreien konnte.
Totenstille.
Doch der Schrecken und Ungereimtheiten in diesem Tal des Grauens
waren noch nicht genug.
Björn eilte auf das bizarre Gebilde zu, das Danielle gefangen
hielt. Er mußte feststellen, daß mit dem Verlöschen
der Musik sein Denken und Fühlen wieder in normalen Bahnen
verlief.
Er suchte verzweifelt nach einer Möglichkeit, die Begleiterin
aus der Gewalt des pflanzlichen Ungetüms zu befreien.
Da wölbte sich der Boden vor ihm ruckartig empor, als ob eine
riesige Wühlmaus unter seinen Füßen die Erde
hochschleudern würde.
Hellmark stürzte. Um ihn herum riß der Boden auf. Erst
jetzt erblickte er auch die flach auf den Boden gepreßten
Kräuter, die sich dort wie flachgetretene Seesterne hinduckten
und die Farbe des Bodens hatten.
Sie platzten in der Mitte auseinander wie überreife
Früchte. Gallerte quoll in allen Farben daraus hervor. Die
Knollen bildeten im Nu menschenähnliche Lebewesen, die vor
seinen Augen wuchsen.
Im Nu war Björn Hellmark von einer Unzahl fremdartiger und
erschreckender Gestalten umringt.
»Töten?« wisperte eine Stimme. »Wollen wir ihn
töten – oder wollen wir mit ihm spielen?«
Geiferndes Kichern. Höllisches Schmatzen. Gierige Augen.
»Warum nicht beides?« fragte eine vertrocknete Alte,
deren graues Haar strähnig über die welken Brüste hing
und deren Kleid aus dunkelgrünem Gewebe bestand, das naß
und glitschig an ihr herabhing. »Erst töten – und dann
spielen…«
»Oder erst spielen…«
Die unfaßbaren Wesen, teils Mensch, teils Pflanze, teils
Tier lösten sich aus der Tiefe ihres unterirdischen
Verstecks.
Hellmark sprang auf. Hart lag das Schwert in seiner Hand. Er
wußte, daß er kämpfen mußte – im Tal
Tamuurs, im Tal der tausend Foltern.
Er glaubte, in den Vorhof der Hölle eingedrungen zu sein.
Die unheimlichen Geschöpfe, die da durch Nervenfäden und
Zellstrukturen mit ihren pflanzlichen Behausungen verbunden waren,
gaben seltsame Laute von sich, lachten und schmatzten, starrten ihn
aus großen Augen an.
Da war einer, dessen Körper war glatt und unbehaart. Am
kahlen Schädel saßen große Ohren, die die Höhe
des Kopfes überragten. Ein anderer kauerte scheu und verloren
neben ihm, hatte einen gnomenhaften Körper und einen spitzen
Schädel, aus dem zwei gebogene Widderhörner wuchsen.
Hellmark glaubte sich in die Welt eines Hieronymus Bosch versetzt.
Er fragte sich, ob dieser Maler nicht zu seiner Zeit die
Möglichkeit gehabt hatte, einen Blick in die Welt einer anderen
Dimension zu werfen.
»Zurück!« herrschte er die Wesen an, die ihn
umringten. Er stieß blitzschnell mit dem Schwert nach ihnen, um
sie zu verscheuchen.
Die seltsamen Gestalten wichen auch zurück. Dafür
tauchten aus dem Dämmer des gespenstischen Waldes weitere
Gestalten auf, warfen sich auf ihn, um ihn zu Boden zu zwingen.
Da kannte Hellmark keinen Pardon mehr.
Er stieß mit dem Schwert zu. Das magische Schwert des Toten
Gottes prallte gegen die Brust eines Angreifers, warf ihn
zurück. Aber die Spitze bohrte sich nicht in dessen Haut.
Da begriff Hellmark: diese Wesen waren nicht dämonischen
Ursprungs. Sie waren Marionetten in Händen eines
Größeren, den er bisher nicht gesehen hatte.
Das Schwert attackierte nur seine Feinde, die ihm ans Leben
wollten.
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