Macabros 040: Tal der tausend Foltern
war
einen Moment lang nicht Herr meiner Sinne.«
Ka-To war über sich selbst erstaunt. Er versuchte den Verlust
des Armes zu verschmerzen. Der Gedanke an die schöne Aleana war
stärker als alles andere: Wenn er sie nur fand, wenn er am Leben
blieb und sie retten konnte, wollte er mit seinem Los zufrieden
sein.
Die schmalen, grünen Lippen des Magiers zuckten leicht. Der
scharlachrote Schein über seinem Haupt verstärkte sich und
leuchtete die bizarre Lichtung aus, auf der dieses Treffen
stattfand.
»Ja, es war ein Trugbild. Aleana befindet sich irgendwo in
meinem Reich. Wenn du sie unbedingt sehen willst, suche sie.
Vielleicht triffst du sie. Sie ist frei. Sie ist eine treue Dienerin
ihres Königs Tamuur. Ich habe ihr bisher keinen festen Platz in
meinem Garten zugewiesen. Das ist ein Zeichen dafür, daß
ich sie verehre und liebe. Und da sie sich noch ihrer Freiheit
bewußt ist, darf man annehmen, daß sie sich wohl
fühlt – und mich ebenfalls liebt.«
Ka-To erschauerte. Konnte es wahr sein, daß ein feenhaftes
Geschöpf wie Aleana ein Ungetüm wie Tamuur lieben
konnte?
Dann mußte er ihren Willen geraubt haben.
»Nein, so ist es nicht.« Der Magier wußte genau,
was in Ka-Tos Kopf vorging. »Sie ist freiwillig hier
geblieben.«
»Ich kann das erst glauben, wenn ich sie gesprochen
habe.«
»Gut, Kleingläubiger. Das sollst du haben, Tamuur ist
großzügig. Er kann es sich leisten, denn ohne seinen
Willen wird hier nichts geschehen. Du wirst sie sprechen – und
mit der größten Enttäuschung deines Lebens in den Tod
gehen. Ich werde mir für dich etwas Besonderes einfallen lassen.
Damit du nicht auf den dummen Gedanken kommst, deine Messer nochmals
anzuwenden…«
Bei diesen Worten erschrak Ka-To aufs Heftigste. Er sah sich schon
seinen zweiten Arm verlieren.
»Nein, so einfach mache ich es dir nicht. Vor deinem Tod
– kommt die Angst, wie du wohl sterben wirst und in welcher Form
sich wohl neue Gestaltungsmöglichkeiten aus deinen Zellen
ergeben. Mit der Demonstration vorhin wollte ich dir nur ein Beispiel
geben, wie ohnmächtig ihr alle gegenüber dem großen
Tamuur seid, dessen Reich sich bald über die Grenzen Ullnaks
ausdehnen und schließlich auch vom offenen Meer Besitz nehmen
wird. Dort, im Wasser, werden sich neue schöpferische
Kräfte mit neuen Formen verbinden. Unterwassergärten werden
entstehen, von einer Vielfalt und Pracht, daß Tamuur stolz sein
kann.«
Der Sprecher richtete die dunklen, scharlachrot durchglühten
Augen auf den ungebetenen Gast.
Die Slatos in den Lederbehältnissen des gekreuzten Bandes
über Ka-Tos Brust zerbröckelten lautlos, und der
metallische Staub rieselte über die nackte Haut auf den
Boden.
»Nur zu deiner Sicherheit, damit du keine Dummheiten machst.
Und nun geht Such Aleana. Rufe sie. Vielleicht wird sie dir
antworten. Aber erwarte nicht, daß sie bereit ist, eine
sinnlose Flucht mit dir zu unternehmen. Sie würde
spätestens an der Grenze meines Gartens enden. Hinaus kann man
nur, wenn ich es will.«
Die rechte fingerlose Hand des Magiers deutete auf das
labyrinthische Dickicht, das sich hinter grünwabernden Nebeln
verlor. »Gehe diesen Weg.«
Ka-To gehorchte, obwohl er sich im Innersten dagegen wehrte.
Er war unzufrieden, unruhig und verärgert über sein
eigenes Verhalten.
Er war hier ein geduldeter Gast. Er mußte froh sein,
daß Tamuur offenbar in bester Stimmung war und ihm nicht gleich
den Garaus machte.
Vielleicht wäre es besser gewesen, gleich dem Tod
entgegenzugehen.
Tamuurs Spezialität schien es zu sein, seine Opfer tausend
Tode sterben zu lassen.
Aufgewühlt und voller Unruhe tauchte Ka-To im Dickicht
unter.
Der Scharlachrote sah ihm nach, bis er nicht mehr zu sehen war.
Dann wandte er sich der am Boden liegenden Französin zu, die
alles mit angehört hatte.
Danielle de Barteaulieé war außerstande gewesen, sich
zu erheben. Wie von unsichtbaren Fesseln war sie am Boden
festgehalten worden.
Der Magier verfügte über die Gabe, seine
Fähigkeiten an mehreren Orten gleichzeitig wirken zu lassen,
überall seine Geschöpfe zu kontrollieren und zu
beeinflussen.
»Und nun zu dir«, sprach er Danielle an. »Auch mit
dir habe ich einen Plan.«
»Der hinter dem meinen zurückstehen muß,
Tamuur«, sagte da eine geschlechtlose Stimme aus dem Nichts. Im
gleichen Augenblick fiel ein Schatten über die Lichtung Tamuurs
scharlachroter Schein nahm ab, die Dunkelheit über ihm sog sie
förmlich auf.
Der Schatten eines riesigen Vogels lag
Weitere Kostenlose Bücher