Macabros 040: Tal der tausend Foltern
über ihnen. Heftig
rauschten die unsichtbaren Flügel. Der Luftzug peitschte die
Blätter, die Büsche und Zellententakeln.
»Rha-Ta-N’my!« entfuhr es Tamuur. Eine eiskalte
Hand umkrallte Danielles Herz.
»Meine Liebenspenderin!« Tamuur hob wie betend die
grünen Augen empor und verbeugte sich in Ehrfurcht.
Der orkanartige Sturm warf Danielle zurück. Sie preßte
sich, so dicht es ging, an den Boden, um den geringstmöglichen
Widerstand zu bieten.
Rha-Ta-N’mys Geist tauchte auf. Als gigantischer Vogel zeigte
die Dämonengöttin sich mit Vorliebe.
Auch in diesem Magier-Reich schien es eine Seltenheit zu sein,
daß die unheimliche Dämonengöttin über die man
so wenig wußte, auftauchte.
Eine besondere Situation schien dies zu verursachen.
»Sie ist ein Mensch, Tamuur, der über Gaben und
Fähigkeiten verfügt, die unserem Wissen entsprungen sind.
Sie ist nicht bereit, diese Gaben und Fähigkeiten so
einzusetzen, wie ich es von ihr erwarte. Ich könnte sie strafen
und mit einem einzigen Atemzug zerschmettern. Doch das wäre zu
einfach.« Die unheilvolle Stimme dröhnte
ohrenbetäubend durch die Gärten. Der pergamentartige Himmel
erbebte ebenso wie die Erde in der die skurrilen und absonderlichen
Gewächse ein tristes Dasein fristeten. »Ich will ihr eine
letzte Chance geben. Darum muß ich deine Pläne
durchkreuzen und meine Forderungen stellen: schaff den Fremden in den
Kessel der endlosen Qualen. Dort soll er sie treffen. Im Kampf sollen
sich beide gegenüberstehen: sie und er. Einer muß den
anderen töten, um einen Vorteil für sich herauszuholen.
Tötet er sie – wird er dein Reich verlassen können,
und nichts mehr wird ihm im Weg stehen. Tötet sie ihn –
entgeht sie dem Schicksal, ein Teil deines Gartens zu werden.
Für den Fall aber daß sie mich wieder hintergeht, kannst
du mit ihr machen, was du willst, Tamuur. Denke dir etwas Besonderes
aus.«
Der Orkan erlosch wie eine Kerze, die man ausblies. Die Stimme
verhallte.
Danielle de Barteaulieé begriff, daß sich das
Schicksal ihres Lebens erfüllt hatte.
*
Es war klar, was man von ihnen verlangte. Im Prinzip blieb ihnen
keine Wahl, doch Lee Brown erbat sich Bedenkzeit.
Somschedd gewährte sie ihm.
Ȇberlege nicht zu lange. Je schneller ihr euch an die
Arbeit macht desto schneller seid ihr dort zurück, woher ihr
gekommen seid. Somschedds Freiheit ist auch die eure.«
»Ich weiß nicht was es da zu überlegen gibt«,
beschwerte sich Spencer Loredge, als sie sich wieder in der Kammer
befanden. »Wir müssen tun, was er verlangt.«
»Richtig«, murmelte Lee Brown. Er hockte mit angezogenen
Beinen vor der kahlen Wand, nagte an seiner Unterlippe, machte
minutenlang den Eindruck eines Menschen, der völlig in Gedanken
versunken ist. »Wir werden es auch tun, es fragt sich nur, mit
welcher Absicht.« Er sprach sehr leise, so daß nur Loredge
die Worte verstehen konnte.
Von den Vogelwesen, die die Diener des Somschedd waren, nahmen sie
nichts wahr. Die hatten sich in andere Kammern und Gänge
zurückgezogen, die ebenfalls zum Teil durch Fackeln erhellt
wurden. Fackeln und getrocknete Nahrungsmittel schien es hier in
Hülle und Fülle zu geben. Durch magische Kunstfertigkeit,
die er von dem Scharlachroten erlernt hatte, konnte er sich mit
diesen Dingen offenbar ständig versorgen, während andere
Möglichkeiten durch eine entgegengesetzt wirkende magische Kraft
eingeschränkt wurden.
Lee Brown versuchte Klarheit über ihre Situation zu finden.
Er dachte laut vor sich hin: »Ich begreife langsam, was
seinerzeit wirklich mit Somschedd geschah. Die das Urteil aussprachen
und vollstreckten, konnten Somschedds Namen zwar auslöschen,
seinen Tod konnten sie aber nur in einen vieltausendjährigen
Schlaf umwandeln. Meine Neugier hat aber eine Situation geschaffen,
die man vor viertausend Jahren nicht einplanen konnte. Doch es ist
müßig, Gedanken darüber anzustellen, was einst
gewesen ist. Die Gegenwart zählt.« Lee versank wieder in
Grübelei.
Loredge wurde ungeduldig. »Aber die Feinde Somschedds«,
unterbrach er Browns Gedanken, »müssen wir doch nicht mit
ihnen rechnen?«
Brown schüttelte den Kopf. »Wir haben es nur noch mit
Somschedd zu tun«, stellte er fest. »Wenn er uns nicht
belügt, befinden wir uns in unserer Zeit, einige tausend Meilen
von London entfernt. Dann kann ja die Falle, die ihm seine Feinde vor
vier Jahrtausenden gestellt haben, nicht mehr zuklappen. Aber er
spricht von Rache. An wem will er sich rächen,
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