Macabros 041: Tschinandoah - wo die Steine leben
die Höhe. Aber der Fels war
zu hoch, als daß die Flocken ihn erreichten.
Über blanken Fels hinweg ging es auf ein größeres
Tor zu, das den eigentlichen Eingang in das düstere Schloß
darstellte. Nach dieser Art Vorhof folgte ein aus rohen Steinen
zusammengebauter Tunnel, in dem sich das Rauschen und Donnern der
tiefer liegenden Wassermassen verstärkte, als sei dies akustisch
beabsichtigt.
Der Tunnel mündete in eine Treppe, die sich spindelartig in
die Höhe fortsetzte. An deren Ende lag eine Kammer. Ein
Bewaffneter stand neben der geöffneten Bohlentür und
musterte ihn mit finsterem Blick.
Rani Mahay wurde in die zwielichtige Zelle gestoßen.
Dann knallte die Tür hinter ihm zu. Von draußen wurde
zweimal der Schlüssel hart im Schloß herumgedreht.
Hallend entfernten sich die auf die steinernen Treppen knallenden
Absätze.
Atemanhaltend stand der Inder eine halbe Minute lang inmitten der
kleinen Zelle. Dann machte er einen schnellen Schritt nach vom, legte
lauschend das Ohr an die Bohlentür und drückte mit seiner
Schulter dagegen, um zu prüfen, wie fest die Tür wirklich
in ihren Angeln saß.
Sie gab um keinen Millimeter nach.
Fugenlos dicht saß sie zwischen den steinernen Pfosten,
unüberwindlich in ihrer Wucht und Masse.
Nachdem seine Augen sich an die herrschende Dämmerung
gewöhnt hatten, sah er sich seine neue Umgebung näher an:
rohes Mauerwerk, eine dunkle Nische unmittelbar neben einem kleinen,
quadratischen Fenster, durch das ein Metallpfahl lief.
Rani warf einen Blick durch das Quadrat, und in der Tiefe des
steil abfallenden Turmes, der aus dem nackten Fels herausgewachsen
schien wie ein fremdartiger Pilz, rauschte und donnerte die Brandung.
Mitten in dieser Brandung stand ein riesiger schwarzer Monolith, der
steil und spitz in die Höhe ragte und den ein Heer von
Fledermäusen umkreiste, immer und immer wieder im gleichen
Rhythmus, als hätte man eine Maschine einmal in Gang gesetzt und
sie nicht wieder zum Stehen gebracht.
Mahay drehte sich langsam herum. Da stieß er mit dem linken
Fuß in die dunkle Nische, in die kein Licht durch das Fenster
fiel.
Es klapperte raschelnd und knöchern.
Er fuhr zusammen.
In der Nische hockte ein menschliches Skelett, dessen schief
hängender Kopf in den morschen Gelenken weiter nach vorn kippte.
Mit einem ›Klack‹ in den Brustkorb fiel es wie ein Ball in
ein Basketnetz, als Mahays unbeabsichtigter Fußtritt Bewegung
in die alten Knochen brachte.
Der Inder kratzte sich im Nacken. »Allein bin ich also
nicht«, murmelte er mit Galgenhumor. »’nen
schönen guten Abend, unbekannter Freund! Du hast die
älteren Rechte und hältst dich hier schon längere Zeit
auf als ich. Leider kannst du mir nicht sagen, unter welchen
Bedingungen die Mietzeit abgelaufen ist. Ich fürchte, die Dinge
sehen trüber aus, als ich in meinem jugendlichen Leichtsinn eine
Vorstellung davon hatte. Wenn ich die Sache jetzt bei diesem
Halblicht betrachte, sieht es ganz so aus, als ob ich mich als
Nachfolger von dir auf eine kleine körperliche Veränderung
gefaßt machen muß – und daß ich dir scheinbar
von Tag zu Tag ähnlicher werde!«
*
Björn Hellmark meinte, ein Zentnergewicht hinter sich
herziehen zu müssen. Er spürte keine Kraft mehr in seinem
linken Bein.
Was war nur los?
Der Weg durch die Höhlenwelt mündete in einem ovalen
Raum, der mit bunten Wandgemälden geschmückt war. Die
Szenen, die reliefartig dargestellt waren, enthielten
ausschließlich als Inhalt das Zusammenleben zwischen der Rasse
der Satis und Vatox, dem Flüssigwesen.
Das Ganze war nach Hellmarks menschlichem Geschmack zu heroisch
herausgearbeitet.
Die Satis wurden als ein glückliches, fleißiges Volk
dargestellt, das sich des Schutzes von Vatox sicher war. Nur in
diesem Schutz, so schien es, war überhaupt eine Satis-Existenz
möglich.
Beim Durchqueren des Höhlenovals wanderten die Blicke des
Deutschen über die schichtweise übereinander liegenden
Reliefs. In breiten Bändern schmückten sie alle
Wände.
Die Rundung dieser Wände war dabei für die Darstellung
nicht ohne Bedeutung. Björn glaubte einen Sinn darin zu
erkennen, daß die auf verschiedenen Wänden angebrachten
Reliefs zwar verschiedene Szenen zeigten – und doch
zusammengehörten. Da wo die Wände abgerundet waren,
verwischten die Farben zu einem wilden, regenbogenfarbigen Spiel, um
dann wieder klar herauszuwachsen und neue Szenen zu bilden.
Die Wand, welche die Öffnung bildete, durch die sie kamen,
war
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