Macabros 042: Hades, Hort der Vergessenen
er die Dinge zu wenig überdacht und sich eventuell zu
schnell entschlossen?
Mehr als ein Feind trachtete ihm nach dem Leben. Da lag der
Gedanke doch nahe, daß die finsteren Mächte, denen er ein
Dorn im Auge war, sich in seine Träume schlichen, daß sie
Bilder schickten, die gar nichts mit der Wirklichkeit zu tun
hatten.
Er geriet in eine solche Panik, als er sich die Dinge so
überlegte, daß er aufspringen wollte.
Es ging jedoch nicht mehr.
Sein Körper war steif wie ein Brett und versagte ihm den
Dienst.
Siedendheiß fiel ihm ein, was Al Nafuur ihm gesagt hatte,
bevor er von seiner unsichtbaren Insel Marlos aus die Reise durch den
Spiegel der Kiuna Macgullyghosh in die Parallelwelt antrat.
Wenn du in jener anderen Welt bist, wird es keine Möglichkeit
geben, daß ich mich mit dir in Verbindung setzen kann…
Das war es, woran er jetzt mit einer quälenden
Intensität denken mußte.
Die Gestalt, die er im Traum sah – konnte niemals Al Nafuur
gewesen sein! Er selbst hatte eine Kontaktmöglichkeit ja vorn
vornherein ausgeschlossen!
Das Blut rauschte in seinen Ohren. Er meinte von einer haushohen
Welle emporgetragen und mitgerissen zu werden.
Die Wände ringsum gerieten in rasend schnelle
Karussellbewegung, und die Skelette sprangen auf. Er sah sie in einem
wilden, obskuren Tanz herumwirbeln.
In sein fieberndes, absterbendes Gehirn drängten sich Bilder
von solcher Grausamkeit, wie er sie nie gesehen hatte.
Der Augenblick des Todes!
War es so schlimm für einen, der sich wehrte, der sich nicht
klar war über den Zweck und den Sinn seines Lebens, der quasi im
letzten Moment begriff, daß ja noch einiges für ihn zu tun
war?
Oder war es normal, wenn die Seele sich in unendlichem Schmerz von
der sterblichen Hülle löste?
Er konnte sich die Frage in seinem Bewußtsein nicht mehr
beantworten.
Er bäumte sich auf, und unendlicher Schmerz kennzeichnete
seine Züge.
Dann war es zu Ende.
Sein Herz stand still. Ein langer, letzter Seufzer entwich seinen
in sich zusammenfallenden Lungen, sein Körper streckte sich.
Björn Hellmark war tot.
*
In dieser Sekunde machte er eine Erfahrung.
Der Übergang war anders, als er geglaubt hatte, wie er sich
abspielen würde.
Für den Bruchteil eines Augenblicks sah er sich am Boden
liegen und bemerkte, wie sein bleiches Antlitz sich entspannte.
Im nächsten Moment wurde seine sich lösende Seele von
den schwarzen Wassern angezogen wie von einem ungeheuren Magnet.
Sein unstofflicher Leib – konnte man ihn überhaupt als
solchen bezeichnen? – hatte nichts gemein mit seinem
Zweitkörper Macabros, der ja aus einer feinern, ätherischen
Substanz bestand und von seinem lebenden Hirn aus gesteuert und
kontrolliert wurde.
Er war ein heller, zerfließender Schemen. Menschliche Augen
konnten diesen Geist nicht wahrnehmen, selbst wenn sie jetzt Zeuge
des Untergangs seiner sterblichen Hülle geworden wären.
Das schwarze Wasser brauste und schwoll an, der helle
›Seelenleib‹ klebte auf der Oberfläche und wurde dann
in die Tiefe gezogen.
Hellmark wußte, daß er nicht mehr war, daß er
sich durch nichts mehr bemerkbar machen konnte. Er war ein
unsichtbarer Geist. Und nur als solcher war er in der Lage, in jenes
Reich einzugehen, in das so viele Opfer vor ihm gegen ihren Willen
geschleust worden waren.
Eine wahnwitzig schnelle Bewegung fand statt.
Blitzschnell erfolgten die Übergänge von Schwarz in Rot
und blieben dann bei Rot. Ein zuckendes, blutfarbenes Licht
glühte überall und ließ deutlich das gewaltige Tor
erkennen, vor dem die beiden halbnackten muskulösen Gestalten
standen.
Sie packten ihn, obwohl er sich dagegen wehrte und erst
vergewissern wollte, was das hier genau war.
Der Eingang in die Unterwelt!
Der legendäre Hades, den andere schon vor ihm erlebt
hatten?!
Er konnte nicht mehr darüber nachdenken.
Plötzlich war er mitten drin.
Und da vollzog sich mit seinem eben noch schemenhaften
›Seelenleib‹ eine neue Wandlung.
Das diffuse, geistige ›Etwas‹, das er eben noch
darstellte, schien wieder zu Fleisch und Blut zu werden. Im
nächsten Moment war er wieder ganz Björn Hellmark, konnte
fühlen und sehen, und die Wesen, die ihn umringten, die sich in
den zwielichtigen Stollen aufhielten, waren ebenso stofflich wie er,
und nichts mehr ›Geisterähnliches‹ haftete ihnen
an.
Er hatte sein Ziel erreicht.
Nun hieß es, die Unterwelt, von deren Ausdehnung und Aufbau
er keine Vorstellung hatte, zu erforschen und Zavho zu finden,
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