Macabros 053: Totenkopfmond
sich, etwas in der Felsnische
versteckt, schimmerte es matt und spiegelten sich in der
geschliffenen Glasfläche einige ferne Sterne.
Kiuna Macgullyghoshs Spiegel! Der schwere, massive schwarze
Holzrahmen, handgeschnitzt, steckte zwischen dem zerklüfteten
Felsgestein, als wäre der Rahmen aus diesen Steinmassen
herausgemeißelt worden.
Aus den Augenwinkeln nahm Rani links und rechts des Spiegels
tiefe, schwarze Höhleneingänge wahr.
An dieser Stelle führten Felsen terrassenförmig in die
Tiefe unbekannter, labyrinthischer Höhlen.
»Tamuur ist unberechenbar«, zischte Kiuna
Macgullyghosh.
»Sie kennen den Magier?«
»Ich will herausfinden, worauf sich seine Macht aufbaut. Es
ist mir bisher nicht gelungen.« Sie deutete nach vorn. »Sie
müssen auf den Spiegel zugehen, Sie werden darin verschwinden
wie in einer Nebelwand – und auf der anderen Seite der Welt
wieder herauskommen. Es gibt zwei Spiegel…«
Zwischen den Augen des Inders entstand eine steile Falte.
Zwei Spiegel? Bisher wußte er nur etwas von einem einzigen,
dem in Hellmarks Besitz und…
Der Schatten! Über ihm…
Schatten! Links und rechts neben ihm…
»Laufen Sie, schnell!« gellte Kaunas Stimme an seine
Ohren.
Er warf sich nach vorn. Zu spät! Da waren plötzlich vier
Hände… sechs… acht… sie rissen ihn herum und
warfen ihn zu Boden.
Leiber stürzten sich auf ihn. Knochenmänner!
Tamuurs Schergen!
Mahay schlug um sich und wehrte sich. Aber weit kam er nicht. Er
unterlag der Übermacht.
Er wurde von Skeletthänden emporgerissen und bekam es nur
beiläufig mit. Der Boden unter seinen Füßen
schwankte, und seine Knie waren weich und nachgiebig wie Pudding.
Hätte man ihn nicht gestützt, wäre er gefallen.
Knochenmänner umringten ihn und waren überall.
Er war genau in die Falle gelaufen.
Halb verschwommen nahm er die hellen Umrisse einer Gestalt
wahr.
Kiuna?
Nein… scharlachrotes Licht… Tamuur. Geiferndes,
gänsehauterregendes Gelächter.
»Nun bist du doch dorthin gekommen, wohin ich dich haben
wollte«, vernahm er die widerliche, abstoßende Stimme.
»Tamuur überlistet man nicht… niemand! Du wirst sehen:
es war alles umsonst, Rani Mahay. Diesmal gibt es keine Rückkehr
mehr. Der Totenkopfmond ist deine Endstation, er frißt dich
auf…«
Er wollte etwas sagen. Seine Kehle war wie ausgedörrt, seine
geschwollenen, zerschlagenen Lippen öffneten sich nicht.
Er erhielt einen Stoß in den Rücken und taumelte nach
vorn.
Kiuna… der Spiegel… die Flucht… jetzt doch
Gefangenschaft. Was hatte das alles zu bedeuten? War dies doch nicht
– die Vergangenheit, wie er gemeint hatte?
Bewegung! Dunkelheit! Er meinte eingeschlossen zu sein in eine
dichte Haut…
Das war keine Haut. Das war eine dunkle, pulsierende Wolke.
Wärme… Hitze…
Helligkeit. Schatten, Gesichter, die sich über ihn
beugten.
»Ramdh…? Aleana…?« hörte er sich
flüstern.
»Ja. Wir sind hier.«
Sie befanden sich alle auf dem Schwarzen Altar der Inoshtar!
*
Es war dunkel und neblig. Der frühe Abend glich schon der
Nacht, in der Hal Fisher seinen Gast nach Durham hatte bringen
sollen.
Mit einem Taxi ließen sie sich zum Loch Ness bringen. Etwa
dreihundert Meter von der Stelle entfernt, wo in der letzten Nacht
der geheimnisvolle Turm entstanden war, ließen sie sich
absetzen.
Langsam gingen sie die Straße entlang, wortlos
hintereinander, bis die roten Rücklichter des Fahrzeuges
verschwunden waren.
Danach gingen sie die Böschung hinunter. Der Boden schmatzte
unter ihren Füßen, Nebel waberte über der Wiese.
Anka und Tina hielten sich am Rande des Gebüsches. Die Wiese
vor dem nebelumwaberten See war völlig leer.
Sie gingen bis zum Ufer, wo die Wellen leise plätscherten.
Hier standen vereinzelt Bäume, deren Wurzeln schon
ausgespült waren.
Die Einsamkeit war unheimlich, bedrückend und wurde
gespenstisch erst recht durch den Nebel, der sich träge
über See und Wiese wälzte.
Aber dieser dichte Nebel hatte auch etwas für sich. Er bot
ihnen Schutz.
Alles war abgesprochen. Jeder wußte, was zu tun war. Sie
warteten in der Nähe der Büsche und Sträucher. Hier
waren sie praktisch nicht wahrnehmbar. Ihre Körper verschmolzen
mit dem Nebel und den Schemen der Büsche.
Die Wiese vor ihnen war leer. Noch…
Schon eine halbe Stunde später aber ereignete sich ein
unheimliches Schauspiel.
Die eckige Turmruine – wuchs wie ein Pilz aus dem Boden.
Schattengleich bildete sie sich, lautlos und gespenstisch.
Thorwald
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