Macabros 053: Totenkopfmond
Belman hielt den Atem an. Anka und Tina waren erregt und
bemühten sich, die aufsteigende Unruhe nicht merken zu
lassen.
»Jetzt«, stieß die junge Norwegerin heiser
hervor.
Anka löste sich aus dem Schatten des Busches, vor dem sie die
ganze Zeit ausgeharrt hatten. Sie durften keine Zeit verlieren.
Diesmal mußten sie schneller sein als die Geister aus dem
Jenseitsreich, die mit Hilfe dieses Turms – so vermuteten die
beiden Frauen – in diese Welt gebracht wurden.
Geduckt liefen Thorwald Belman und die beiden Frauen zum Eingang.
Er war baufällig und schief, und die leeren Fenster starrten sie
an wie die schwarzen Löcher in einem Totenschädel.
Im Innern des Turms knirschte und schabte es leise.
Steile, ausgetretene Treppen führten in eine kahle Kammer.
Von hier aus gab es Treppen, die sowohl nach oben als auch nach unten
führten.
»Die Geräusche kommen von unten«, wisperte Anka.
»Kommt!«
Sie lief voran und schien genau zu wissen, was sie wollte.
Pechschwarz war der Korridor, der vor ihnen lag.
Steil führten die Treppen nach unten. Die nächtlichen
Eindringlinge dieser Gespensterruine tasteten sich an der kahlen,
rauhen Wand entlang, um auf der steilen Treppe in der Dunkelheit den
Halt nicht zu verlieren.
Sie rissen weder ein Streichholz an, noch hatten sie eine
Taschenlampe dabei. Jedes verräterische Zeichen wollten sie nach
Möglichkeit verhindern.
Sie erreichten das Ende der Treppe. Es war stockfinster.
Aber da waren die Geräusche vor ihnen, und nach denen
richteten sie sich.
Sie erreichten eine Gangbiegung. Fluoreszierender Lichtschein,
schwach und trüb. Aber endlich nicht mehr diese
undurchdringliche Dunkelheit.
Die Geräusche waren jetzt nahe.
Plötzlich ein Flügelrauschen. Ganz dicht vor innen!
Fast gleichzeitig warfen sie die Köpfe empor.
In dem trüben Licht erblickten sie einen schwarzen Vogel mit
Fledermausflügeln. Er war sehr groß.
Anka, Tina und Thorwald Belman preßten sich an die kahle
Wand. Der Vogel kam durch ein Fensterloch, schwebte
flügelrauschend in die Tiefe und zog einen Kreis inmitten des
großen Raumes, wo sie angekommen waren und der nun nach der
Ankunft des rätselhaften Vogels noch intensiver in einem
grünlichen Licht zu leuchten begann.
Der Vogel zog seine Kreise immer enger, legte dann die Flügel
an und stürzte wie ein Stein in die Tiefe.
Fast schien es, als würde er auf dem steinernen Untergrund
zerschmettern. Aber noch ehe er den Boden berührte, wuchs er wie
ein schwarzer, zerfließender Stab. Der Vogel streckte sich. Die
nebelhafte Dunkelheit um ihn wirbelte und drehte sich, und aus der
Drehbewegung und dem überdimensionalen Vogelleib entstand ein
neuer Körper: eine Frau mit Hochfrisur, strengem, kantigem
Gesicht und schwarzen, glitzernden Augen.
Die ›Graue‹ – Maletta!
*
Die drei Menschen hielten den Atem an.
Belmans Herz schlug wie rasend. Er fürchtete schon, daß
Maletta das heftige, stolpernde Schlagen seines Herzens
hörte.
Die geheimnisvolle ›Graue‹, der Anka zum ersten Mal in
der Klinik in Oslo begegnet war – und die er im Park des
Nervensanatoriums ebenfalls schon mal gesehen hatte – nun war
sie hier aus einem schwarzen, magischen Vogel geboren!
Maletta murmelte geheimnisvolle Worte in einer Sprache, von der
die drei Lauschenden und Beobachter keine Silbe verstanden. Aber die
Worte allein, ihr Klang reichte aus, um einem das Fürchten zu
lernen.
In dem geisterhaft grünen Licht entstand an den Wänden
Bewegung. Schatten bildeten sich, Schatten, die aus den Rissen und
Spalten des uralten Gemäuers krochen.
Aus den Schatten entstanden fahle Wesen. Knochenmenschen,
Knochenechsen, Vögel!
Vier, fünf Stück lösten sich aus dem Gemäuer
und folgten dem Ruf Malettas.
»Jetzt!« Anka warf sich nach vorn. Sie konnten nicht
mehr länger warten. Sie mußten handeln, wollten sie
verhindern, daß die Armee der Schrecklichen hier auf der Erde
weiter zunahm.
Nun würde sich herausstellen, ob Ankas und Tinas Besuche in
dem Lande Ullnak und Antolanien Vorteile erbracht hatten, ob der
Angriff, den sie sich vorgenommen hatten, von Erfolg gekrönt
war.
Anka zögerte nicht. Tina zögerte nicht.
Ihre Zerstäuber waren auf die fahlen Knochenwesen gerichtet.
Die Zerstäuber sprühten. In fein verteilter Form trafen die
Tropfen die Knochengeschöpfe.
Ächzen und Jammern erscholl. Die Gestalten wichen
zurück. Der Knochenmann schlug die Skeletthände vor das
Gesicht und wandte sich ab, der Knochenvogel flatterte wie
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