Macabros 063: Die Feuerbestien aus Kh'or Shan
hallte
silberhell durch die klare Luft. »Der macht wirklich
Ernst…«
»Jawohl!« Jims volle, dunkle Stimme schloß sich
Pepes verwehenden Worten an. »Es wird die herrlichste Glatze von
Marlos sein. Rani wird seine wahre Freude daran haben. Hoho –
dir werd ich’s zeigen.«
Der Guuf hatte die volle, dunkle Stimme eines erwachsenen Mannes.
Daß Jim nach irdischen Begriffen erst wenige Jahre alt war,
würde niemand für möglich halten. Die Entwicklung
hatte sich bei ihm in rasenden Schritten vollzogen.
Carminia lächelte noch immer. Das Lächeln auf ihren
Zügen gefror zu Eis.
Die Wellen in der Bucht schäumten plötzlich auf und
stiegen senkrecht empor. Das ganze Meer schien sich zu heben. Der
Horizont verschwand – und mit ihm das ferne, glühende
Leuchten der Vulkaninsel.
Die Frau sprang auf. Sie taumelte und fiel wieder in den Sand
zurück, weil der Boden sich unter ihr schüttelte. Dumpfes
Grollen stieg aus dem Meer, das zu einem tosenden Orkan anschwoll und
noch innerhalb des Lichtkranzes von Marlos spürbar wurde.
»Oh, mein Gott«, wisperte die Brasilianerin. »Was
hat das zu bedeuten?«
Die See, der Himmel und der Boden, auf dem sie stand, bebten.
Das Grauen packte die junge, dunkelhäutige Frau.
Der ganze Ozean vor ihr stieg empor und stand wie eine steile Wand
vor der Insel, eine riesige, gigantische Welle von unvorstellbarem
Ausmaß, unter der Marlos verschwinden mußte wie eine
Nußschale auf wildbewegter See.
*
Wie eine Vision von einem unsichtbaren Projektor auf die
himmelwärts stürmenden Flutwelle projiziert, erschien die
Stadt aus dem Nichts.
Sie bestand aus unzähligen, bizarren Gebilden, die
düster und unheimlich in einen flammenumloderten Himmel ragten.
Schwarze Schatten schwebten über Türmen und Zinnen.
Schatten, die bedrohlich wirkten.
Furchterregend stand die bizarre Silhouette aus Türmen,
Mauern und säulenartig gewundenen Spiralen vor dem
rotglühenden Hintergrund. Unheimliche Schreie und Zischen wie
von Schlangen drangen an ihr Ohr. Dann wurden Mauern, Zinnen und
Türme durchsichtig wie Glas. Carminia Brado hatte das
Gefühl, durch Wände hindurch in verwinkelte Gassen und auf
von Leben erfüllte Plätze zu blicken.
Wie eine Überblendung beim Film, wo eine Szene aus der
anderen hervorgeht, so verschwanden die Umrisse der Stadt, und es
blieb nur noch ein großer Platz vor einem Tempel, der das
Aussehen eines gigantischen Kopfes hätte.
Menschen bewegten sich wie Insekten auf den wulstigen Lippen, auf
den riesigen, hervorstehenden Augenbrauen, und dem
weitgeöffneten Mund, der ein Tor darstellte.
Es war ein Kommen und Gehen. Die Menschen waren in
verschiedenfarbige Gewänder gekleidet und näherten sich aus
allen Himmelsrichtungen dem Eingang dieses Menschenkopf-Tempels.
An totemartigen Pflöcken, die in bestimmten Abständen
vor dem Tempeleingang auf dem freien Platz in die Erde gerammt waren,
hatte man Menschen gefesselt. Die Gefangenen waren nackt bis auf
einen ledernen Lendenschurz und lagen unter einer unbarmherzig
sengenden Sonne im Staub der Straße.
Die in in den farbigen Gewändern eilten schnurstracks an
ihnen vorbei, ohne sie eines Blickes zu würdigen.
Carminia hielt den Atem an. Wie in Hypnose waren ihre Augen auf
die seltsame Vision gerichtet.
Einen Fuß vor den anderen setzend, löste die Frau sich
von der Stelle, an der sie die ganze Zeit über gestanden hatte.
Sie bewegte sich mechanisch. Wie eine Puppe…
Sie ballte ihre Hände zu Fäusten und drückte die
Fingernägel so fest in die Innenseite, daß sie sich tief
ins Fleisch bohrten. Doch sie spürte nicht mal den scharfen
Schmerz.
Ihre Lippen bewegten sich. Leise und bruchstückhaft rannen
die Worte über ihren Mund. »Ja… ich weiß, wo ich
bin… wie lange habe ich dieses Bild
vermißt…«
Wie bei einer Fahraufnahme kam der riesige Kopf, vor dem sich
seltsames Leben in einer fremden Stadt abspielte, lautlos und schnell
näher.
Im Innern des steinernen Tempels loderte es, als ob tausend Feuer
brannten. Die furchtbaren Entsetzensschreie kamen aus dem Tempel.
Jeder, der sie hörte, wurde davon angezogen. Keiner floh, was
doch nur natürlich gewesen wäre!
Der gigantische Kopf raste auf Carminia zu. Sie sah das
aufgerissene Maul direkt vor sich und dann den Feuerschein gen Himmel
– und alles war wieder so ruhig wie gewohnt. Das Meer, die
Bucht, der weiße Sand, das Licht, das niemals von der
Dunkelheit geschluckt wurde. Das war Marlos – die unsichtbare
Insel, das Bollwerk
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