Macabros 070: Eissturmland des Drachenkönigs
tot
identifizierte Jean Lucanne gelegen hatte, war die Eisfläche
glatt, weiß und sauber und nicht mal die Spur vereisten Blutes
war mehr zu sehen!
*
Zu all den Merkwürdigkeiten kam eine weitere hinzu.
Im ersten Moment waren sie unfähig, die Situation fest in den
Griff zu bekommen. Sie liefen einfach auf das Wrack zu, verbargen
sich darin und begannen dann systematisch ihre Kräfte
einzuteilen und die Dinge genau zu analysieren.
»Lassen wir alles andere außer acht«, sagte Chanel
mit klarer Stimme.
Das war einfacher gesagt als getan…
»Es sieht so aus, daß wir beide tatsächlich die
letzten Überlebenden sind. Daraus müssen wir etwas machen.
Es geht für uns ums nackte Dasein. An Bord der
›Amundsen‹, Janine, befinden sich Vorräte, die uns bei
diesen Außentemperaturen über ein halbes Jahr am Leben
erhalten. Das kann viel sein, aber auch verdammt wenig. Ich habe die
Absicht zu überleben. Koste es, was es wolle. Und irgendwann
wird irgendwer auch mal nach uns suchen.«
Darauf konnten sie noch hoffen.
Denn – von ihrer Seite aus gab es nicht die geringste
Möglichkeit mehr, sich bemerkbar zu machen. Die Funkeinrichtung
des Schiffes war total zerstört, und sie wußten nicht mal,
wo genau sie sich im hohen Norden befanden.
Erst jetzt nach ihrer Rückkehr in das Wrack, wo sie alles
Wichtige unter die Lupe nahmen, was ihnen beim Überleben von
Vorteil sein konnte, stellten sie fest, daß es eigentlich
nichts mehr gab, was an technischem Gerät noch
funktionierte.
Nicht mal mehr der Kompaß zeigte an!
»Er zeigt immer nach Osten«, schüttelte Chanel
verwundert seinen Kopf. »Wie ist so etwas nur
möglich?«
»Hier ist alles verrückt«, stieß Janina
Francoise hervor. »Die Tatsache, daß wir irgendwo
angekommen sind, wo wir gar nicht sein könnten… die
Tatsache, daß der Kompaß immer Osten zeigt… die
Tatsache, daß da draußen Eiszapfen stehen, die die Form
von Zuckerhüten haben und daß ein Teilnehmer aus unserer
Gemeinschaft spurlos verschwindet, als hätte es ihn nie
gegeben… das alles ist schon Grund genug zu zweifeln, ob wir uns
überhaupt noch da aufhalten, woher wir gekommen
sind…«
Pierre Chanel wußte genau, was die Französin mit diesen
Worten sagen wollte.
Janine Francoise war vor drei Jahren mit einer amerikanischen
Aufklärungskommission im Bermuda-Dreieck gewesen, um
Informationen darüber einzuholen, was es wohl mit dem
rätselhaften Verschwinden von Schiffen und Flugzeugen dort auf
sich hatte.
Janine ihrerseits war zu dem erstaunlichen Schluß gekommen,
daß an all den seltsamen Aussagen doch etwas Wahres dran sein
müsse. Da waren Menschen und riesige Geräte einfach im
Nichts verschwunden, und selbst Suchmannschaften, die sich auf den
Weg machten, kehrten nicht mehr zurück. Wo sie allerdings waren,
wußte bis zur Stunde kein Mensch…
Der Wind hatte sich verstärkt, ein wahrer Blizzard, fegte
über die endlos wirkende Eisfläche, schien die Türme
in ihrer Umgebung zu reinigen von uraltem, weißen Schnee- und
Eisstaub, und darunter hervor kamen…
»Pierre!« stieß die Französin tonlos hervor.
»Komm’ schnell… das mußt du dir
ansehen…«
Mit einem schnellen Schritt war der Gerufene an ihrer Seite und
blickte nach draußen.
Hörbar entwich Janines Lungen die Luft.
Die zuckerhutähnlichen Gebilde draußen wiesen
plötzlich Reihe an Reihe dunkle, ovale Löcher auf, die sich
rund um das eisige Bauwerk rankten.
Doch das war noch nicht alles.
Wie eine Galerie, die sich vom breiten Standfuß
schneckenförmig nach oben hin der verjüngenden Spitze
entgegenwandte, wirkte das Band, das sich erhaben von den
Eistürmen abhob.
»Gebäude! Türme…«, entrann es den Lippen
der Französin. »Wie ist so etwas nur möglich? Pierre
– wo befinden wir uns?«
Der jaulende und pfeifende Blizzard schien noch etwas anderes zu
bewirken. Chanel erinnerte sich daran, daß es vorhin, kurz
nachdem sie auf den toten Jean gestoßen waren, begonnen hatte.
Vielleicht hatte dieser Blizzard in der Tat etwas mit dem
Verschwinden der Leiche zu tun… Die Luft draußen
veränderte sich. Es sah aus, als ob jemand Negative über
einem Motiv liegen hätte, das erst verschwommen und dann –
wenn man ein Negativ nach dem anderen entfernte – immer klarer
und deutlicher hervortrat.
Janine Francoise und Pierre Chanel hielten den Atem an.
Das Flackern in der Luft war plötzlich nicht mehr dort
draußen vor dem Wrack, sondern auch hier im Innern!
Die Luft um sie herum
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