Macabros 075: Ustur - In den Ketten des Unheimlichen
er
nachdenklich. »Es kann jeden Augenblick losgehen. Ehe wir zum
Traktor zurückgelaufen sind, werden wir vollkommen
durchnäßt sein. Außerdem… hey«, die Stimme
Fietje Freesmanns veränderte sich plötzlich. »Was ist
denn das?« fragte er verwundert.
»Was ist denn jetzt passiert?« reagierte der alte Bauer
sofort.
Fietje Freesmann deutete zum Himmel, wo sich zwei dunkle Schatten
zeigten, die rasch näher kamen. Sie befanden sich direkt
über ihnen und stürzten auf sie herab.
»Vögel!?« stieß Paul Freesmann aufgebracht
hervor.
Sie konnten es beide nicht fassen.
Ja – das waren Vögel! Aber was für welche! Sie
waren groß wie Menschen, und die Geschwindigkeit, mit der sich
alles abspielte, ließ Paul und Fietje Freesmann gar keine Zeit,
die Dinge in allen Einzelheiten zu verfolgen.
Und das war gut so…
Flügelrauschend stürzten die riesigen Vögel
herab.
»Vater! Die haben… Menschenköpfe!« Fietje
Freesmann schlug um sich. Er spürte die äußeren,
scharfkantigen Ränder der Schwingen.
Dann packte ihn einer, und der Mann kam nicht mehr dazu, zu
fliehen.
Vater und Sohn Freesmann stürzten zu Boden. Sie setzten sich
heftig zur Wehr, konnten aber gegen die geflügelten Feinde, die
halb Vogel waren, nichts ausrichten.
Es ging alles so schnell, daß die Freesmanns nicht mal
registrierten, ob die Flügel aus Federn oder lederartigen
Schuppen bestanden, mit denen die Angreifer ihre Opfer zudeckten.
Dann folgte ein brennender Schmerz. Das Gesicht des ersten
Angreifers preßte sich heiß und hart gegen Fietje
Freesmanns Nacken.
Die Zähen schlugen zu.
Es waren – Vampirzähne…
*
Fünf Minuten später war alles vorbei.
Die beiden ungeheuerlichen Wesen, die einem Alptraum entsprungen
sein schienen, reckten ihre Hälse, breiteten die Flügel aus
und schwangen sich hoch in die Luft. Mit schweren
Flügelschlägen jagten sie über die Äcker und
Felder, strebten weiter aufwärts und verschwanden in den
tiefhängenden schwarzen Wolken, aus denen der Regen brach.
Hart prasselte die Flut auf den Boden nieder. Braune Erde spritzte
empor und verdreckte im Nu die beiden reglos am Boden liegenden
Männer vom Freesmannhof.
Es war schon so dunkel geworden, daß man die Silhouette der
Kleinstadt am Ende der ausgedehnten Felder kaum noch wahrnahm.
Der Bauernhof der Freesmanns lag ungefähr drei Kilometer vom
Ort des Geschehens entfernt. Als die beiden Männer bei dem
Wolkenbruch nicht nach Hause zurückkehrten, fing Frau Freesmann
an, sich Sorgen zu machen.
Sie schickte ’ schließlich einen Knecht, der nach dem
Verbleib der beiden Freesmann forschen sollte.
Er fuhr in einem Kleinwagen über den aufgeweichten Pfad, der
sich durch die Felder schlängelte.
Zwei Stunden nach dem ungeheuerlichen, von niemand beobachteten
Ereignis fand man Vater und Sohn Freesmann.
Bleich und völlig verwirrt kehrte der ausgeschickte Knecht
ins Haus zurück.
»Sie sind tot… Sie sind beide tot… Ich hab’
sie gefunden!«
Frau Freesmann wurde ohnmächtig. Wenig später kamen Arzt
und Polizisten aus der Stadt.
Man untersuchte trotz des heftig strömenden Regens den Ort
des Verbrechens genau.
Gerade aber der Regen hatte die meisten Spuren verwischt. Der
Boden war aufgeweicht. Es ließ sich nur noch oberflächlich
rekonstruieren, daß sich hier wahrscheinlich ein Kampf auf
Leben und Tod abgespielt hatte.
Wem oder was waren die beiden Freesmanns begegnet?
Da konnte man sich nur auf Vermutungen stützen. Und die waren
mehr als vage.
Beide Männer wiesen eine einwandfreie lokalisierte
Bißwunde am Hals auf.
Der Biß eines – Vampirs?
Die den Fall bearbeitenden Kriminalisten blickten sich beunruhigt
und nervös an.
Es ging hier etwas vor, das nicht in das Schema eines
herkömmlichen Verbrechens paßte.
Die Toten wurden in Zinksärgen ins Leichenschauhaus
gebracht.
Schwer schlug die Tür ins Schloß.
Durch die beiden winzigen, vergitterten Fenster sickerte nur
schwach der Rest des Tageslichtes in den schummrigen, kahlen Raum, in
dem die Toten lagen.
Ihr Ableben war einwandfrei festgestellt.
Und wiederum unbeobachtet – ereignete sich hinter den kahlen
Mauern des Leichenschauhauses etwas, was eigentlich nicht sein
durfte, doch nach den Gesetzen des Vampirismus logischerweise mit
Beginn der Dunkelheit einsetzen mußte.
Einer der Toten – es war Fietje Freesmann – schlug in
diesem Augenblick seine starren Augen auf!
*
Waren Stunden oder Tage vergangen?
Ullrich Koster konnte es nicht sagen.
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