Macabros 081: Wrack der namenlosen Götter
abwärts…
Ein Lift. Die Nische war Sackgasse, Gefängnis und
Aufzugschacht in einem.
Das Netz verdeckte die Nische und befand sich in halber Höhe
über ihr. Die untere Schachtwand war rauh, ein Fels, in dem sich
die Plattform bewegte wie auf einem teleskopartigen Stempel, der von
einer geheimnisvollen Kraft herabgezogen wurde.
Schräg nach oben blickend sah sie in der Dämmerung der
Ebene, die zwischen den krummen Säulen und dem
Röhrengeflecht lag, das auch zum Wurzelwerk der darüber
wachsenden Bäume gehören konnte, bewegungslose Gestalten
stehen. Die Haut schimmerte silbern. Puppen – Hunderte von
Puppen, die Arson darstellten! Wachsfiguren ohne Seele, ohne Leben,
die nur darauf warteten, von Nh’or Thruu bei Bedarf eingesetzt
zu werden.
Und der wirkliche Arson – wo war er?
Schräg über ihr die uralte Carminia, dahinter die
anderen, die aussahen, wie ihr aus dem Gesicht geschnitten. Die
geheimnisvollen Puppenmacher Nh’or Thruus hatten ganze Arbeit
geleistet!
Die Carminia-Puppen drängten sich an die feste
Gazehülle, legten ihre glühenden Gesichter daran und fingen
an zu lachen. Sie bogen sich vor Lachen und gerieten außer Rand
und Band. Das schaurige Gelächter hallte durch die Halle,
erfüllte sie und wurde zum grauenvollen Echo in dem Schacht, in
dem Carminia Brado in die Tiefe sank.
Die Brasilianerin konnte es nicht mehr hören. Sie
preßte die Hände gegen die Ohren, beugte sich weit nach
vorn und wäre am liebsten im Erdboden versunken.
Sie vernahm ihre eigene Stimme, ihr schallendes Lachen – aber
tausendfach verstärkt und bizarr verändert.
Es konnte in den Wahnsinn treiben!
War das die Absicht des Herrschers von Zoor?
Jeder, der mit ihm in Berührung kam, verlor den
Verstand?!
Das Lachen übertönend – Nh’or Thruus
Stimme.
»Man liegt nur vor Nh’or Thruu direkt auf dem Boden,
kleines Täubchen… dies ist zuviel der Ehrerbietung. Bewahre
sie dir auf, bis zum Augenblick unserer Begegnung. Ich freue mich
schon die ganze Zeit darauf, dich aus allernächster Nähe zu
sehen. Gleich wirst du mir gegenüberstehen… freust du dich
nicht auch?«
*
Aus der Dunkelheit wuchs urplötzlich die farbige Umgebung
heraus.
Er sah von der Spitze des Erdhügels herab in das
weitgeschwungene Tal.
Er erinnerte sich an etwas. Es war wichtig. Er durfte nicht hier
bleiben.
Der Mann war groß, blond und hielt in der Rechten ein
Schwert, dessen kostbarer Griff reich mit geschliffenen Edelsteinen
verziert war, die funkelten, obwohl kein Lichtstrahl sie traf.
Dies war nicht Björn Hellmark, sondern sein Doppelkörper
Macabros.
Hellmark selbst lag zur gleichen Zeit etwa zweitausend Meter von
der Stelle entfernt, an der wie ein Geist aus dem Nichts sein
Doppelkörper aufgetaucht war.
Björn merkte nichts davon. Sein Unterbewußtsein aber
ergriff die tödliche Gefahr.
Er hatte Carminias Entführung mitbekommen, hatte den
Geflügelten gesehen und ahnte das furchtbare Schicksal, das man
der geliebten Frau zugedacht hatte.
Unabhängig von seinem wachen Geist konnte er seinen
Doppelkörper entstehen lassen. Manchmal geschah dies sogar ohne
sein Wissen im Traum. Dann suchte er mit Macabros fernste Gefilde
auf, tauchte ein in Welten, die jenseits des bekannten Sonnensystems
lagen und durchstreifte mit seiner zum Körper gewordenen Psyche
anderer Räume und Zeiten…
Oft konnte er nach dem Aufwachen dann nicht erkennen, ob er nur
geträumt hatte oder wirklich abwesend war.
Als Macabros über den Hügel eilte, dem Tal entgegen, in
dem die riesigen Wabengebilde standen, hatte Hellmark ebenfalls das
Gefühl zu träumen. Aber Macabros wußte, daß es
kein Traum war, daß der Körper, dem er sein Leben
verdankte, am Fuß eines Baumes lag und verletzt war, aber nicht
mehr in Todesgefahr schwebte. Macabros hätte jetzt die
Möglichkeit gehabt, Hellmark an einen anderen Ort zu bringen.
Aber diese Stelle war ihm vertraut. Soweit das Auge reichte, konnte
er keinen weiteren Gegner ausmachen, und im Augenblick einer neuen
Gefahr konnte er sich jederzeit um Hellmark kümmern.
Im Moment war eine andere Person wichtiger: Carminia Brado.
Macabros konnte nicht wissen, wieviel Zeit seit dem Überfall
vergangen war. Durch Hellmarks Bewußtlosigkeit war auch das
geistige Band zu Hellmarks Bewußtsein unterbrechen.
Das Blut an der Stirn des Vorletzten war angetrocknet.
Stunden mußten vergangen sein. Jede zurückliegende
Minute war angefüllt mit Angst, Grauen und Hoffnungslosigkeit
für Carminia Brado.
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