Macabros 081: Wrack der namenlosen Götter
des Korkens zu hören war, wenn einer den
Wasserbehälter öffnete.
Die Hitze schlauchte sie. Es war wie in einem Treibhaus. Jede
Bewegung wurde zur Qual.
Am besten hatte es immer derjenige, der Muße hatte und
schlafen konnte.
Davon machte Amalla Gebrauch, als Chancell ihn nach einer Stunde
ablöste.
Mit dem Gewehr in der Hand legte er sich flach. »Wenn irgend
etwas los ist, dann brüll! Ich schieße erst und frage
dann, was los war, einverstanden?« feixte er.
Chancell nickte nur. Er war zu faul zum Antworten.
Wie eine Statue hockte der Schweizer Amateurforscher hinter dem
Steuerrad und führte das Boot mit sicherer Hand. Einmal galt es
einen kleinere Wasserfall zu passieren. Das klappte ohne große
Komplikationen.
Chancell kannte die Gegend wie seine Hosentasche. Nicht zum ersten
Mal bewegte er sich auf diesem Fluß. Von den vielen hundert
Seitenarmen des Amazonas gab es nur noch wenige, die er noch nicht
befahren hatte.
Aufgrund seiner Entdeckungen und Erkenntnisse hatte er gerade in
den letzten Jahren das Gebiet um den Jamanxim und dem Curua besonders
aufmerksam studiert und immer wieder Expeditionen dorthin
unternommen.
Nun zeigte sich, daß sein Fingerspitzengefühl und seine
Erkenntnis in der Tat richtig waren. Genau dies hier war die Ecke, an
der er fündig werden konnte. Genauere Angaben als die, die er
jetzt in der Tasche hatte, konnte er eigentlich nicht mehr erwarten.
Die Meridianangaben waren für ihn wie die Hausnummer einer
bestimmten Adresse.
Er döste halb vor sich hin, hielt aber noch immer das
Steuerrad mit sicherer Hand.
Affengekreische und aufgeregt schreiende und davonfliegende
Vögel veranlaßten ihn, den Blick in die betreffende
Richtung zu lenken.
Aus zusammengekniffenen Augen blickte er zum linken
Flußufer. Hier war das Flußbett enger. Schattenhafte
Bewegungen zwischen Büschen und Sträuchern. Einmal glaubte
Chancell deutlich mehrere gebückte Gestalten zu sehen, die ihre
Gesichter grellbemalt hatten.
Sie wurden von Indios beobachtet. Das beunruhigte ihn nicht. Das
gehörte dazu.
Der Urwald hatte seine eigenen Gesetze. Chancell war
überzeugt davon, daß seine Ankunft in Tucumare schon auf
geheimnisvolle Weise weitergegeben worden war, daß tausend
Meilen weiter nordöstlich sein alter Freund Tuna Madanga schon
wußte, daß er wieder auf dem Weg zu den
Rätselstätten war, deren wirkliche Lage auch einigen
Eingeborenen vertraut war. Aber die schwiegen darüber wie ein
Grab.
Fünfzig Meilen weiter stromabwärts übernahm Juan
Lopez Amalla wieder die Steuerung, mit Einbruch der Dunkelheit war
die Reihe erneut an Chancell.
Der Spanier beobachtete mit einer gewissen Unruhe die
Getriebenheit und Hektik seines Freundes. Chancell war sonst die Ruhe
in Person. Er konnte gar nicht schnell genug ans Ziel kommen. Er
belastete den Motor bis an die äußerste
Leistungsgrenze.
Den ganzen Tag ging es flußaufwärts, die ganze Nacht.
Alle drei Stunden wechselten sich die Männer ab. Zwischendurch
wurde Angelique aufgefordert, eine neue Kanne Tee oder Kaffee
zuzubereiten.
Ohne Zwischenfälle erreichten die Expeditionsteilnehmer die
große Flußschleife.
Nach zweieinhalb Tagen legte das Aluminium-Flachboot in der
denkwürdigen Bucht an, von der Chancell behauptete, daß
auch Philipe Laison sie vor hundert Jahren erreicht hatte.
Mit schweren Buschmessern bahnten sich die Männer einen Weg
durch das dichte Gestrüpp, durch die armdicken Lianen, die ein
engmaschiges Netz bildeten.
Das Boot wurde vertäut und unter überhängenden
Ästen verborgen.
Der Lagerplatz wurde direkt in der geschützten Bucht
errichtet. Im Nu waren zwei Zelte aufgebaut. Die beiden Männer
hatten mit dieser Arbeit alle Hände voll zu tun. Angelique war
in dieser Zeit nicht untätig. Sie kümmerte sich um die
Feuerstelle und rührte in einem Topf eine kräftige
Bohnensuppe. Es roch nach geräuchertem Speck.
Es wurde rasch dunkel.
Chancell mußte sich dazu zwingen, in Ruhe seine Suppe aus
dem Blechteller zu löffeln.
»Warum so nervös?« fragte Angelique
beiläufig.
»Zum Teil macht das deine Nähe«, entgegnete der
Schweizer. »Es ist das erste Mal, daß eine Frau an unserer
Reise teilnimmt. Und dann bohrt ständig der Gedanke in meinem
Hinterkopf, daß der versumpfte Seitenarm und damit das Ziel
greifbar nahe liegt. Hier – irgendwo direkt vor uns –
muß es sein…«
Er hatte eine handgezeichnete Karte neben sich liegen und
studierte immer wieder die Eintragungen, die er selbst gemacht
hatte.
Die
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