Macabros 081: Wrack der namenlosen Götter
Dunkelheit legte sich über die grüne Wildnis. Die
Geräusche der Dschungelnacht mischten sich in das Knistern der
kleiner werdenden Flammen, die seltsam-bizarre Licht- und
Schattenreflexe auf die Gesichter der um das Feuer Sitzenden
warfen.
Die drei Teilnehmer der Expedition waren müde, von der langen
und anstrengenden Reise auf dem kleinen Boot erschöpft. Auf
engstem Raum hatten sie an die drei Tage zusammengepfercht gehaust
wie die Tiere und waren nur zum Notwendigsten ans Ufer gefahren.
Unter normalen Umständen hätte Chancell nach jeder
Tagesreise eine ausgiebige Rast auf einem geeigneten Lagerplatz
eingelegt. Aber er wollte diese Zeit einsparen, was ihm auch gelungen
war.
Amalla verschwand mit Angelique im Zelt.
Chancell saß noch eine Weile vorm Feuer, starrte
gedankenversunken in die niedriger werdenden Flammen, und rauchte
eine letzte Zigarette, ehe auch er sein Zelt aufsuchte.
Er fühlte sich zerschlagen und innerlich aufgewühlt. Am
liebsten hätte er sich jetzt in der Finsternis noch auf den Weg
gemacht, um jene Stell zu überprüfen, die in seinem Denken
einen so großen Raum einnahm.
Über diesen Gedanken schlief er ein.
Als er wieder erwachte, ohne einen ersichtlichen Grund, war es
noch immer stockfinster, und die unheimlichen Geräusche nervten
wie eh und je.
Zweige knackten.
Chancell war sofort hellwach und griff nach dem Gewehr. Er schlug
den Zelteingang zurück und spähte atemlos nach
draußen.
Im Zelt von Angelique und Amalla war alles still.
Chancell fühlte Unruhe.
Etwas stimmte nicht! Jemand war in der Nähe. Sie wurden
beobachtet…
Lautstark spannte er den Hahn seiner Waffe. Das metallische
Klicken war deutlich zu hören.
»Ist da jemand?« fragte Chancell gedämpft.
Er ging zum Rand des Lagerplatzes. In der Finsternis vor ihm
tauchte irgend jemand weg.
»Halt! Stehen bleiben!« Friedrich Chancell riß das
Gewehr hoch und feuerte. Bellend zerriß der Schuß die
Nacht. Vögel im Gebüsch flatterten erregt davon und
kreischten, Affen zeterten. Aber auf all das achtete der Schütze
nicht.
Im Mündungsstrahl des Gewehres hatte er ganz deutlich die
davonrennende Gestalt erkannt. Ein Indio! Vom Nacken schlangengleich
über den Rücken gezogen eine seltsame Bemalung aus
dunkelblauer Farbe.
Juan Lopez Amalla kam aus dem Zelt.
»Eine unangenehme Art hast du, die Leute schon in aller
Frühe zu wecken«, maulte er. Das Haar hing ihm wirr in die
Stirn. »Ist dir aus Versehen ein Affe auf den Zeh getreten oder
ein Frosch übers Gesicht gelaufen?«
»Nichts von beiden. Wir werden beobachtet! Und zwar schon
eine ganze Zeit…«
Amalla seufzte und strich die Haare aus dem Gesicht. »Da
meint man mitten im Dschungel allein zu sein – aber wieder
nichts. Überall gibt’s Leute, die mit zuschauen.«
Die beiden Männer liefen ein paar Schritte in den Busch. Nun
war die grüne Wand so dicht, daß sie nicht
weiterkamen.
Lautlos wie ein Schatten trat eine Gestalt hinter einem Stamm
hervor. Amalla und Chancell sahen sie nicht.
»Mein Freund ist töricht geworden«, sagte der
Eingeborene. »Ich ihn nicht mehr verstehen…«
Chancell und Amalla wirbelten wie auf Kommando herum.
»Tuna!« stieß der Schweizer hervor und schlug
automatisch Juans Gewehrlauf herab, weil er befürchtete, der
Spanier würde den Abzugshahn durchziehen.
In der Dunkelheit stand Tuna Madanga, der Indio-Häuptling,
vor ihnen.
*
Mit allem hatte Chancell gerechnet. Nur nicht damit. »Woher
weißt du, daß ich wieder im Land bin?« fragte der
Schweizer sofort.
»Ich davon hören. Tuna hat viele Freunde…« Der
Indio sprach englisch.
»Bist du allein, Tuna?« Chancell war verwirrt. Man
merkte es ihm an.
»Nein. Wächter auch da sind.«
»Die Wächter…«
»Von denen wir immer haben gesprochen… ich dir nie
konnte zeigen.«
Chancell schluckte. »Dann hast du also schon damals
gewußt…«
»Immer gewußt, Forscher-Mann«, fiel der Indio ihm
ins Wort. Er trat einen Schritt nach vorn. »Alle Geschichten
wahr. Aber nur wenige wissen… umkehren besser. Wenn alle wissen
– Welt verrückt. Nicht gut. Götter böse. Tuna und
Wächter sterben… Zelte abbauen und fortgehen. Das ist das
Beste…«
Chancells Miene wurde hart, Amalla lachte rauh. »Wir sind
nicht hierher gekommen, um unsere Zelte wieder
abzureißen«, entgegnete der Schweizer. »Ich dachte,
du bist mein Freund…«
»Bin Freund. Deshalb meine ich es gut…« Der Indio
trug ein dunkelblaues Stirnband. Seine Haare waren nicht
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