Macabros 086: Die Horron-Barbaren
war
gerade trinkgerecht. Sie schmeckte nach Fleisch und starken
Gewürzen, die sie nicht kannte. Gerade die Gewürze waren
es, die ihre Sinne weiter anregten und sie aus der Lethargie
rissen.
War sie auf der anderen Seite des Daseins angekommen? Hatten die
Sorgen und Nöte, denen sie in der letzten Zeit ausgesetzt war
und aus denen sie keinen Ausweg mehr gefunden hatte – ein
Ende?
Noch waren es verwirrte, ratlose Gedanken, die sie nicht recht
fassen konnte, die ihr davonliefen wie Käfer… Doch dann
begriff sie.
Plötzlich schlug sie die Augen auf.
Ein fremdes Gesicht beugte sich über sie.
Der Mann war dunkelhaarig, ihrer Schätzung nach zwischen
fünfunddreißig und vierzig Jahre alt und hatte ein
braungebranntes Gesicht und Lachfältchen in den
Augenwinkeln.
»Ich glaube, Sie haben’s geschafft. Das freut
mich…« Er lächelte sie an.
Er sprach Englisch mit fremdartigem Akzent, den sie nur zu gut
kannte, da sie lange Zeit in dem Land gelebt hatte, das sie als seine
Heimat vermutete.
»Sie… sind… Schweizer?« Das Sprechen fiel ihr
noch schwer. Stockend nur kamen die Worte über ihre Lippen.
Die Augen des Mannes wurden groß. »Ich habe mit allen
möglichen Fragen gerechnet«, sagte er verdutzt, »aber
nicht mit dieser. Ja, bin ich! Und das stellen Sie einfach so fest
auf einer Welt, deren Entfernung von der Erde sich nicht in Zahlen
ausdrücken, sondern nur ahnen läßt.«
»Arnagk – wir sind noch auf Arnagk?«
»Ja.«
»Wer sind Sie?« fragte Carminia Brado. Ihre Stimme klang
schon fester. Die Brasilianerin war darüber selbst
überrascht. Der stärkende Trunk tat seine Wirkung. Carminia
unternahm einen ersten Versuch, sich aufzurichten. Die Anstrengung
war noch zu groß, und sie schaffte es nicht.
»Mein Name ist Friedrich Chancell…«
»Und wie haben Sie mich gefunden?«
»Durch einen normalen Routinebesuch. Sie und ihren Begleiter.
Auch er ist über dem Berg. Sie lagen nach den ersten
Injektionen, die wir Ihnen verabreichen mußten, noch genau zwei
Tage in tiefer Bewußtlosigkeit. Sie müssen seit Tagen
nichts mehr zu essen und zu trinken gehabt haben…«
Carminia nickte.
»Ich hoffe nur, daß ich jetzt höre und sehe, was
wirklich vorhanden ist, daß es sich weder um einen Traum
handelt, noch um eine Illusion, die ich nicht kontrollieren kann,
weil mein Hirn möglicherweise nicht mehr ausreichend mit
Sauerstoff versorgt wird. Es wird behauptet, daß im Zustand der
Agonie, im Schlaf, der dem Tod vorausgeht, die eigentümlichsten
Eindrücke vom Hirn an das Bewußtsein vermittelt
werden…«
Friedrich Chancell lächelte. »Da kann ich Sie beruhigen.
Mit Ihnen ist alles in Ordnung. Was Sie hören und sehen, ist die
Wirklichkeit…«
»… die ich kaum glauben kann, wenn ich mir vorstelle, wo
ich mich befinde«, wisperte die Brasilianerin. Sie blickte sich
in der Runde um.
Sie lag auf einem schmalen Bett, das weich und angenehm war. Die
Kammer war von einem Lichtschein durchdrungen, dessen
bernsteinfarbener Ton Geborgenheit vermittelte. Vergebens hielt sie
Ausschau nach den Höhlenwänden, den schwebenden,
verklärten Körpern…
Sie lag in einem Raum, der jedoch bis auf sein Licht und die Liege
nicht minder rätselhaft auf sie wirkte.
An der Decke über ihr schwebte ein großes Auge, wie ein
Planet frei im All…
»Sie brauchen keine Furcht zu haben«, erklärte
Chancell sofort, als er Carminias Blick verfolgte. »Das ist
etwas ganz Normales. Überall in der Pyramide sind die Augen
Skashs…«
»Augen Skash? Pyramide?« Die Frau schloß kurz die
Lider, preßte sie zusammen und öffnete sie wieder. Sie sah
noch immer das gleiche.
»Ihre Verwirrung ist nur verständlich…«
»Kein Wunder, wenn man bedenkt, in welcher Situation wir uns
befinden und wo die ›Besprechung‹ stattfindet. Sie wissen,
was Arnagk bedeutet?«
»Natürlich Miss Brado… ›Welt der toten
Seelen‹, was ja auch der Wahrheit entspricht…«
Es ist ein Traum, grellte der Gedanke wie ein Blitz in Carminias
Hirn. Oder der restliche Bewußtseinsinhalt, bevor das
eigentliche Ende kam. Ihr Name aus dem Mund des Mannes, der sich
Friedrich Chancell nannte, war schlicht und einfach eine Farce.
»Es ist ausgeschlossen… ich habe nie von Ihnen
gehört, Sie nie zuvor gesehen… Sie können mich
unmöglich… mit meinem Namen ansprechen…«
Carminias Stimme klang dumpf und unwirklich.
»Ich kann… es ist kein Geheimnis, es gibt dafür
eine ganz einfache Erklärung. Die möchte ich Ihnen geben.
-Aber zunächst
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