Macabros 088: Die flüsternden Pyramiden
lange spürte er
intuitiv, daß etwas gesehenen würde. Ihre ununterbrochenen
Anstrengungen mußten irgendwann zum Erfolg führen.
Jetzt war es so weit.
Er sah, daß schmale Treppen zwischen den dämonischen
Gestalten zu beiden Seiten des Gesichtes nach oben führten. Er
sah auch, wie die grünschwarzen Gestalten aus dem breiigen
Gestein links herauswuchsen, sich zur vollen Größe
entfalteten, wie auf einem Lauf band nach oben geschwemmt wurden und
den Zenit erreichten, um dann auf der rechten Seite wieder in dem
Gestein zu verschwinden. Es schien, als wolle dieser
»Kranz« aus Dämonen das Werden und Vergehen
symbolisieren…
Der Aufstieg war für Millan beschwerlich. Die Stufen waren zu
schmal, als daß er mit dem ganzen Fuß hätte darauf
treten können.
»Du bist endlich da«, vernahm er aus allernächster
Nähe eine Stimme, die er gut kannte.
Es war die seiner Frau!
Er warf den Kopf herum und sah sie auf der obersten Stufe stehen.
Die Treppen endeten in Höhe des riesigen Mundes, der weit
aufklappte wie ein ins Ungewisse führendes Tor.
»Brenda?! Wo kommst du her?« wollte Philip Millan
wissen.
»Aus dem Tempel«, erhielt er zur Antwort. Die Frau
lächelte ihm zu. Ihre sonst so harten Züge wirkten mit
einem Mal weich und verführerisch. Philip Millan sah in seiner
Frau eine Schönheit, die ihm nie zuvor aufgefallen war.
»Was geht hier vor, Brenda? Ich verstehe das alles nicht,
obwohl ich mich bemühe…«
»Dabei ist alles ganz einfach, Philip. Rha-Ta-N’my hat
unsere Bitten erhört…«
»Heißt das, daß Sie selbst…«
»Nein. Ein Teil ihres Ichs hat uns berührt. Dies alles,
Philip, ist erst der Anfang. Rha-Ta-N’my will uns damit
beweisen, daß sie uns vertraut. Jetzt kommt es darauf an, was
wir aus dieser Öffnung in ihre Welt machen. Ich hab’ das
Flüstern der Pyramide vernommen und bin gleich drauf in den
Garten gelaufen…«
»Was ist das für eine Pyramide, Brenda?«
»Komm mit herein, und du wirst alles sehen…«
In ihren Augen glitzerte ein kaltes Licht. Ihm entging
es…
Philip Millan erreichte die oberste Stufe und hielt sich am Rand
der vorspringenden Lippen des riesigen Kopfes fest. Millan hatte das
Gefühl, auf eine Statue geklettert zu sein. Das Material
fühlte sich kühl und hart wie Stein an. Die
»Maske« im Zentrum der Pyramide war jetzt wieder starr und
völlig bewegungslos.
Brenda Millan packte ihren Mann bei der Hand. In ihren Augen
brannte ein verzehrendes Feuer.
Auch aus ihrem Mund drang nun das lockende Wispern und
Flüstern, das er vorher in seinem Kopf wahrgenommen und auch
durch die werdenden und vergehenden Dämonen gehört
hatte.
»Wir haben’s geschafft, Philip… die anderen werden
uns beneiden. Wir beide werden die ersten einer neuen Zeit sein, die
dazu auserkoren sind, das Erbe der Schwarzen Priester anzutreten.
Molochos versagte und beging Verrat. Die mit ihm am engsten verbunden
waren, wurden vorher schon ausgelöscht. Das Feld der Schwarzen
Priester liegt brach. Rha-Ta-N’my bietet es uns zum Bestellen
an. Greifen wir zu…«
Sie zog ihn über den steinernen Lippenrand des
Maskengesichts.
Philip Millan warf einen flüchtigen Blick zurück. Ihn
schwindelte. Die Höhe, aus der er seinen Garten sah, war
beachtlich. Er hatte das Gefühl, in der Luft zu schweben. Die
Umrisse der »flüsternden Pyramide« unterhalb seiner
Füße wirkte wie dräuendes Dunkel, das leise
pulsierte…
Vor ihm herrschte ebenfalls ein pulsierendes Dunkel, wie ein
Vorhang, der unter einem leisen Windhauch in Bewegung versetzt
wurde.
An der Seite seiner Frau tauchte er in die Dämmerung ein.
Eine Art Korridor führte in eine ungewisse Tiefe. Schon jetzt
stellte Millan fest, daß seine ursprüngliche Vermutung
über Größe und Ausdehnung dieses eigenartigen,
grotesken Tempels aus dem Nichts nicht stimmen konnte.
Selbst in der Dämmerung fiel ihm auf, daß er weitaus
größer war.
Konnte es sein, daß die Größenverhältnisse
außerhalb anders waren als hier drin?
Philip Millan jedenfalls hatte das Gefühl, in ein Reich zu
kommen, das endlos war.
Das Wispern war überall.
Es drang aus den Poren der Wände, kam aus Decke und Boden und
war ein Teil der Luft, die er atmete. Tausende von Stimmen
gleichzeitig schienen zu sprechen. Nicht ein einziges Wort aber war
zu verstehen. Es waren ineinanderfließende Laute, die manchmal
in Kichern endeten, die klangen wie triumphierendes Jubeln, dann
wieder wie Schreien, dann, als würden Worte aus einer Sprache
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