Macabros 089: Rückkehr in den Totenbrunnen
unregelmäßig, als
sie den Unheimlichen sich nähern sah.
Er war einen Kopf größer als der Indio und sah
furchteinflößend aus. Seine rechte Körperhälfte
war die einer urwelthaften, schuppigen Echse, die linke Seite zeigte,
wie der Mann ursprünglich ausgesehen hatte. Dunkles,
kurzgeschnittenes Haar, ein intelligentes Gesicht, kluge, hohe
Stirn… Seine Haut war kalkweiß.
Der Kopf war in der Mitte begrenzt von einem starren Kamm, der bis
tief in den Nacken reichte.
Die Augen blickten unterschiedlich. Das Echsenauge saß
schräg und groß in der grünen Kopfhälfte, das
Menschenauge, starr und kaltglitzernd, zog sie in einen beinahe
hypnotischen Bann.
Ein dumpfes Stöhnen kam über die Lippen der Frau.
Systematisch spitzte sich die unerklärliche, unfaßbare
Situation zu.
Es begann mit der Entführung, an die sie sich nicht erinnern
konnte, steigerte sich mit einer erneuten Begegnung der
verschwundenen Sonja Wilken und dem Auftritt der Irren und erreichte
seinen Höhepunkt in der Gegenüberstellung mit dem
Schrecklichen aus dem Totenbrunnen.
Es war ein Anblick, der sie tief traf.
Das Echsenmaul verzog sich, während die Lippen des
Menschenmundes unbewegt blieben. In der Hälfte des
Echsenantlitzes waren spitze, haifischartige Zähne zu sehen. Ein
dunkles, zufriedenes Knurren kam aus der Tiefe der Kehle des
Veränderten.
Wer war dieses Geschöpf?
E3 schien, als könne Manolito, der einen Schritt hinter dem
Unheimlichen stand, ihre Gedanken lesen. »Dieser Mann ist der
Besitzer dieses Hauses. Er hieß Kay Olsen, bevor er so wurde,
wie er jetzt ist. Er ist Ihr Herr und Meister…«
»Niemals!« keuchte die Frau.
Der heiße Atem aus Kay Olsens Rachen traf sie. Der Mann halb
Echse, halb Mensch, beugte sich über sie.
Angelika Huber hatte nicht die Kraft, sich zur Wehr zu setzen, als
er sie einfach packte und zu sich herüber zog.
Sie schrie. Das war alles. Aber es gab niemand, der auf ihren
Schrei hin zu Hilfe geeilt wäre.
Angelika Huber wurde von einer Menschenhand und einer Echsenklaue
umfaßt. Sie spürte den harten, schuppigen Brustpanzer des
Mannes. Sie trug nur das dünne, weiße Leinennachthemd aus
dem Krankenhaus.
Ihr Widerstand war eine Farce.
Sie schlug schwach um sich, konnte nichts ausrichten. Jede
Bewegung wurde für sie zur Tortur.
Der Echsenmann trug sie quer durch den Kellerraum.
»Wir sind sehr freundlich«, hörte sie die
spöttisch klingende Stimme Manolitos aus dem Halbdunkeln.
»Wer nicht aus eigener Kraft zum Brunnen gehen kann, der wird
hingetragen, so nett sind wir. Finden Sie nicht auch?«
Die Erregung stieg in Angelika Huber hoch. Dieser Sarkasmus war
nicht zu überbieten.
Sie lag in den »Armen« des Unheimlichen, spürte
dessen heißen Atem auf ihrem Gesicht und gab es auf, einen
Befreiungsversuch zu unternehmen. Selbst wenn es ihr gelungen
wäre, sich dem Zugriff zu entwinden, was unter den gegebenen
Umständen einer Sensation gleichgekommen wäre, hätte
sie damit dennoch nichts ausrichten können.
Sie konnte aus eigener Kraft keine zehn Schritte gehen. Die
zusätzlichen Strapazen nach dem Unfall hatten ihre Kräfte
weiter abgebaut.
Sie wurde zwischen den starren, bedrohlich blickenden steinernen
Götzen auf den Durchlaß zugetragen, der in einen anderen,
ebenfalls fensterlosen Raum mündete.
Auch hier eine stickige, verbrauchte Luft.
Im Halbkreis standen Mayagötter vor einem Brunnen, der mitten
in den Kellerraum gebaut war.
Das Gestein war grob und alt.
Wie kam der Brunnen hier herein?
Angelika Huber wurde dicht an ihn herangetragen.
An den Wänden hingen blakende Fackeln, die ein noch
trüberes und unruhigeres Licht verbreiteten als die
Petroleumlampe. Hier an diesem Ort schien es keine Elektrizität
zu geben.
»Die Steine stammen aus einer anderen Welt. Mit ihnen wurde
der Brunnen genau den Vorschriften entsprechend gebaut«,
erklärte Manolito. »An jedem Punkt dieser Welt kann man die
Brunnen errichten, die bestimmten Mayastämmen bekannt sind. Es
sind die legendären Totenbrunnen, in die die Opfer
gestoßen werden, um den Schlangengott zu besänftigen. Von
Zeit zu Zeit muß ein neues Opfer gebracht werden, um seine
Erwartungen zu erfüllen. Wir hoffen, daß er Sie
annimmt…«
Angelika Hubers Alptraum erfuhr einen weiteren schrecklichen
Höhepunkt.
Der Echsenmann hielt sie über die dunkle, unergründliche
Öffnung des kahlen Brunnens und ließ sie einfach los.
Gellend hallte der Aufschrei der Frau aus dem Dunkeln, in das sie
immer tiefer
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