Macabros 089: Rückkehr in den Totenbrunnen
nichts mehr«, sagte er verwirrt.
»Vielleicht offenbart das Gespräch mit Evita soviel,
daß Sie mehr verstehen…«
Der Mexikaner hätte die Gelegenheit gehabt, einfach
abzudrücken und aus nächster Nähe den Mann
niederzustrecken, auf den er einen so großen Haß hatte.
Doch dieser Haß war verschwunden. Einige erklärende Worte
hatten genügt, seine Skepsis zu wecken und ihn nachdenklich
werden zu lassen.
Er schüttelte den Kopf. »Ich glaube, Sie irren… Sie
haben keine Vorstellung vor Evitas Zustand…«
Er steckte die Waffe weg, stieß sich von der Felswand ab und
lief zu seinem Auto.
Wortlos öffnete er die Beifahrertür und gab Hellmark mit
dieser stummen Geste zu verstehen, den Platz neben ihm wieder
anzunehmen.
Der Motor sprang beim ersten Startversuch an.
Björn strahlte. »Ich verstehe zwar ’ne ganze Menge
von Autos und technischen Tricks, aber ich muß Ihnen das
Geständnis machen, daß Sie es verstanden haben, mich ganz
schön an der Nase herumzuführen. Ich war, als wir
ausstiegen, der Überzeugung, daß wirklich eine Panne
vorlag.«
Julio Hernandez grinste. »Solche kleinen speziellen Tricks
sind eben nur mit diesem Vehikel möglich, Senor Hellmark. Da
werden Sie sicher verstehen, daß es mir schwer fällt, mich
von ihm zu trennen.«
Er gab Gas und fuhr los.
Bis zur Anstalt waren es gute fünf Minuten.
Als sie das Plateau erreichten, wo der umfangreiche
Gebäudekomplex stand, kam ihnen ein Ambulanzfahrzeug
entgegen.
»Da haben sie wieder einen eingeliefert«, knurrte Julio
Hernandez. Der kräftige Mann wirkte bei der Annäherung an
das abseits gelegene Anwesen in den Bergen zunehmend bedrückt.
»Ich mag solche Häuser nicht«, fügte er dann
hinzu.
Er bremste vor dem großen Gittertor, sprach kurz mit dem
Portier und wurde dann eingelassen.
Die Zufahrt war asphaltiert. Zur Ausschmückung standen einige
riesige Kübel mit Pflanzen herum, um den nüchternen
Eindruck dieses sachlichen Gebäudes abzumildern.
Der Komplex war u-förmig gestaltet. Erst wenn man näher
kam, konnte man sehen, daß ein altes, im spanischen
Kolonialstil errichtetes Gebäude dazu gehörte. Die modernen
Bauten waren zu einem späteren Zeitpunkt hinzugefügt
worden.
Hier oben gab es Gärten und Werkstätten. Große
Plätze hinter den Häusern waren mit Maschendraht
eingezäunt. Einige Personen hielten sich dahinter auf, und
Björn kam es so vor, als befände er sich in einem Zoo, in
einem Menschenzoo, in dem sie die Besucher waren.
Die Kranken gingen auf den eingezäunten Rasenflächen
spazieren, oder saßen herum. Pflegepersonal befand sich
ständig in der Nähe. Diese Menschen waren nie ohne
Aufsicht. Man mußte sie in diesen eingezäunten
Plätzen bewachen, weil sie kein Orientierungsvermögen mehr
hatten und nicht mehr wußten, woher sie kamen und wer sie
waren.
Ein alter Mann in einer sandfarbenen Leinenhose und verwaschenem
blauem Hemd kam gebeugt an den Maschendrahtzaun und erkundigte sich
mit leiser Stimme nach der Zeit.
Julio Hernandez sagte sie ihm, und Björn Hellmark sah, wie
der Alte am Stellknopf seiner Uhr zu drehen begann, einer Uhr, die
keine Zeiger mehr hatte…
»Es ist schon ein Ritual geworden«, erklärte Julio.
»Jeder, der hier vorbeikommt, fragt nach der Zeit – dabei
kann er nicht mehr in ihr leben. Er sieht eigentlich glücklich
und zufrieden dabei aus, finden Sie nicht auch?«
Björn nickte nachdenklich.
Auf dem Weg zu dem alten Gebäude, das aussah wie ein
verwittertes Schulhaus, begegneten sie zwei, drei anderen
Heimbewohnern, die die Möglichkeit hatten, sich frei zu bewegen.
Ihre Gesichter waren unbeweglich, die Augen ausdruckslos.
Die psychisch Kranken schienen Hellmark und Hernandez
überhaupt nicht wahrzunehmen. Sie waren mit ihren Gedanken ganz
woanders.
Die Stätte glich einem Gefängnis. Das Gemäuer, das
das Anwesen umgab, war dick und hoch. Teilweise war der
natürlich gewachsene Fels in diese Mauer integriert.
Sandsteinstufen führten in das Innere des alten Baus.
Die Luft war kühl.
Eine Zimmerflucht lag vor ihnen.
»Wir müssen noch ein Stockwerk höher«, sagte
Hernandez unvermittelt. »Sie ist in der geschlossenen
Abteilung…«
Die Fenster waren überall vergittert.
In einem Büro, an dem sie zwangsläufig vorbeikamen,
meldete Hernandez den Besuch an.
Eine Pflegerin wurde gerufen, die sie begleitete.
Hinter den massiven Holztüren waren manchmal stöhnende
Laute zu vernehmen, hinter anderen Türen herrschte
Totenstille.
Julio Hernandez seufzte
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