Macabros 089: Rückkehr in den Totenbrunnen
äußerst schmal.
Es war nicht zu verhindern, daß Björn und Julio Hernadez
in Berührung kamen. Es raschelte. Doch zum Glück gingen
diese verräterischen Geräusche in dem hektischer werdenden
Singsang unter.
Was Björn und sein Begleiter zu sehen bekamen, war der Alltag
in einem weltabgelegenen Dschungeldorf.
Alle Einwohner hatten sich um einen gemauerten, uralten Brunnen
versammelt.
Braunhäutige Gestalten, jung und alt, Männer und Frauen
umstanden den halb zugewachsenen Brunnen im Halbkreis.
Die jungen, bemalten Krieger, waren bewaffnet mit Pfeil, Bogen und
Speeren.
Grellbemalte und auffällig gekleidete Priester stachen aus
der Menge ab.
Atemlos beobachteten die beiden unerwarteten Besucher die
Szene.
Hier spielte sich ein Ritual ab, das Jahrtausende alt war.
Ein Priester löste sich aus der Gruppe, deren wilder Gesang
durch den Dschungel hallte und deren ekstatische Tänze ihre
Körper erbeben ließen, bis einige vor Erschöpfung
zusammenbrachen, von anderen wortlos und rasch auf die Seite
geschleppt wurden, um den Platz vor dem Brunnen für andere
freizuhalten.
Das waren die Mayas aus dem »Vergessenen Dorf«. Es waren
schätzungsweise um die hundert Menschen, die das Dorf
bevölkerten, nichts von Zivilisation wußten, die hier auf
einer primitiven Stufe des Daseins lebten und ihre Götter
verehrten und besänftigten durch Menschenopfer wie zum Anbeginn
der Zeiten…
Im Mittelpunkt ihres Lebens stand der Schlangengott. Nur seinem
Einfluß war es zu verdanken, daß das Mayadorf in der
Wildnis Yucatáns bisher nicht entdeckt worden war. Doch seinen
»Schutz« ließ sich der Schlangengott auch etwas
kosten. Er verlangte seit eh und je Menschenopfer. Die schönsten
Mädchen der Mayas, von den Priestern zu diesem Zweck
auserwählt, wurden jeweils geopfert.
Diesmal war es eine, die zum Brunnen geführt wurde.
Sie wurde behandelt wie ein Vieh, das man zum Schlachten brachte.
Die Hände waren ihr auf den Rücken gebunden. Das
Mädchen war blutjung, viel hellhäutiger als ihre
Stammesangehörigen, von geradem Wuchs, körperlich ohne
jeglichen Tadel.
Ihre Haare waren lang, lagen schwer und dunkel auf ihren
Schultern. Sie trug ein farbiges Gewand, das ihr unmittelbar vor dem
Brunnen vom Körper gerissen wurde.
Nur mit einem Lendenschurz bekleidet, der kaum noch etwas verbarg,
stand sie ergeben vor dem Brunnenrand und wartete auf das Zeichen
durch die Priester, auf das Ende des Rituals. Sie schrie nicht, sie
wehrte sich nicht, und sie lief auch nicht davon, als man ihr die
Fesseln abnahm. Sie wußte, wozu sie auserwählt war und
nahm dieses Schicksal hin, weil sie nichts anderes kannte.
Aber dieses Schicksal war schlimmer als der Tod.
Die anderen Priester – erkenntlich durch ihre Kleidung –
lösten sich aus der Menge und packten das Mädchen.
»Das können wir… doch nicht zulassen«,
stieß Julio Hernandez tonlos hervor. »Sie wollen Sie
tatsächlich in den Brunnen stürzen…«
Mechanisch fingerte er nach seiner Pistole. Hellmark drückte
seine Hand zur Seite. »Keine Unbedachtsamkeiten, Julio. Das
brächte uns in Teufels Küche. Was hier geschieht, ist uns
unverständlich und geht uns gegen den Strich. Für diese
Menschen ist es Alltag. Wir können nicht zusehen, wie ein
hilfloser Mensch ins Verderben gestoßen wird, ohne sich zur
Wehr setzen zu können. Ein Eingreifen würde diese Menschen
aufs tiefste treffen, uns in Gefahr bringen und das Weltbild der
Eingeborenen auf den Kopf stellen. Ein anderer Versuch aber
könnte möglicherweise einen anderen Schock bewirken. Die
Götzenwelt dieser Menschen ist vielgestaltig. Wenn
plötzlich einer aufträte, den sie bisher nicht kennen und
der ihnen solche Opfer untersagte, wäre das mal ’ne neue
Variante. Nur dumm, daß ich die Sprache der Mayas nicht
spreche. Vielleicht tun’s auch Gesten…«
Zwei andere Priester handelten blitzartig.
Sie packten das Opfer, rissen es nach vorn und wollten es
über den Brunnenrand stürzen.
Doch wie eine Geistererscheinung stand dort plötzlich
jemand.
Macabros!
Das junge Maya-Mädchen prallte förmlich mit dem Kopf
gegen die Beine von Hellmarks Zweitkörper. Sie gab einen leisen,
erstaunten Ausruf von sich und wich zurück.
Die Priester standen im ersten Moment wie erstarrt und reagierten
dann mit einem wilden, gellenden Schrei. Wie vom Donner
gerührt, standen plötzlich auch die Tänzer still.
Es war geradezu unheimlich.
Eben noch der ekstatische Gesang, das wilde Stampfen der
Tänzer – jetzt Stille
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