Macabros 094: Todesruf der schwarzen Hexe
rumorte
schon seit langem. Aber daß der Ausbruch zu diesem Zeitpunkt
erfolgen würde, damit hatte niemand gerechnet. Der Berg
erzitterte, das Grollen lag unheilverkündend in der Luft, ein
flackernder Feuerschein machte die Nacht zum Tag.
Magma floß in die Bucht, glühende Lavaströme
wälzten sich den Berg hinunter und erreichten zischend das
offene Meer.
Die Welt änderte sich von einer Sekunde zur anderen.
Es war ein schaurig schönes Schauspiel, das sie alle in Bann
zog.
Rani fuhr mit leisem, gurgelndem Aufschrei herum.
»Hierher!« Er brüllte, so laut er konnte, und warf
die Arme in die Höhe.
Die beiden Weißen sahen ihn. Der Mann und die Frau
erfaßten die Situation und ergriffen die Chance, die sich ihnen
bot. Die Eingeborenen flohen nach allen Seiten davon. Die meisten
liefen ins Meer, verfolgt von der Lava, die aus Ritzen und Spalten
des Felsens quoll, in der sie ihre Heimstatt gehabt hatten.
Todesschreie…
Die beiden Menschen, die Mahay entdeckt hatten, rannten um ihr
Leben.
Sie waren im Moment der Gefahr durch die Eingeborenen entkommen,
aber da war eine andere: Der Tod durch den Vulkan!
Es regnete heiße Asche vom Himmel.
»Da vorn steht ein Kanu!« rief Mahay mit Stentorstimme.
»Vielleicht erreichen wir es noch...« Mit langen
Sätzen jagte er davon.
In der Schnelligkeit lag ihre Chance. Rani forderte seine
Kräfte bis zum äußersten.
Es ging um Leben und Tod, und die Sorge um den
zurückgelassenen Fieberkranken erfüllte ihn. Als seine
Blicke in die Richtung gingen, aus der er gekommen und wo er Jonathan
zurückgelassen hatte, wurde es ihm bang ums Herz.
Der ganze Hügel war ein einziges Flammenmeer!
Bäume loderten wie Fackeln, schwer wälzte sich Lava zur
offenen See herab.
Der Inder erreichte das versteckte Kanu und stieß es ins
Wasser. Die beiden Fremden ließen sich erschöpft in das
Bootsinnere fallen.
Ringsum im Wasser stiegen Fontänen hoch und zischte es. Auch
der ufernahe Meeresboden schien zu reißen und glühende
Lava ins Wasser zu pumpen.
Rani paddelte wie von Sinnen, der Fremde tauchte seine Hände
ins Wasser und paddelte damit.
Schon nach wenigen hundert Metern war klar, daß er nicht
mehr zu dem fiebernden Seemann zurückkehren konnte.
Auf einer Klippe, die von fauchenden und zischenden Fontänen
umgeben war, entdeckten sie die zusammengekauerte Gestalt eines
Mannes.
»Jonathan!« entfuhr es Mahay, und er erbleichte.
Dem Mann aus Plymouth konnte niemand mehr helfen. Er war von einer
grauweißen Ascheschicht bedeckt und zur Salzsäule
erstarrt.
Unweit der Fliehenden tauchte ein Eingeborenen-Boot auf, das wenig
später in Flammen aufging, als heiße Vulkanasche vom
Himmel regnete.
Das Kanu mit Mahay und den beiden anderen Geretteten entging der
gleichen Katastrophe wenig später nur um Haaresbreite.
Die beiden Männer stießen das Boot weit ins Meer
hinaus.
Als der Kampf gegen die Naturgewalten gewonnen war und sie
einigermaßen sicher sein konnten, dem Tod entronnen zu sein,
teilten sie sich mit.
Mahay erfuhr merkwürdige Geschichten, die sich um eine
dämonisierte Götzenstatue, um einen Tiki rankten, die der
Seemann Fietje Bensen in Neuseeland von einem Eingeborenen erhalten
hatte. Er hatte sich darüber lächerlich gemacht, und der
Fluch hatte ihn ereilt. Lilo, die Liebesdienerin, war kurze Zeit
darauf mit der gleichen Statue in Berührung gekommen. Die
dämonische Kraft der »schwarzen Hexe« war auch auf sie
wirksam geworden. Sie war – wie Fietje Benson und Rani Mahay
– in die Vergangenheit geschleudert worden.
Rund dreihundert Jahre zurück – auf Neuseeland. Rani
zweifelte kaum mehr daran, daß es sich um Neuseeland handelte.
Bensen hatte die Götzenstatue auf Neuseeland erhalten, Will
Bardon war jahrelang auf der Insel gewesen, und auf dem Weg zu Bardon
war dem Inder das Unheil begegnet. Kräfte, die über
Jahrhunderte hinweg unverändert geblieben waren – hatte
Bardon sie sich zunutze gemacht, als er merkte, daß jemand sich
außergewöhnlich intensiv für ihn interessierte?
Bensons schwarze Statue existierte nicht mehr. In der
Auseinandersetzung mit den Eingeborenen hatte Lilo sie verloren.
Sie entgingen dem Vulkan, und blieben trotzdem Gefangene ihres
Schicksals.
»Egal, wie weit wir mit dem Kanu auch kommen – in unsere
Eigenzeit werden wir nie damit gelangen…«
*
Hellmark spurtete los und schloß zu den Freunden auf. Sein
fragender Blick traf Carminia.
Sie zuckte die Achseln. »Wir wissen nicht, was mit ihr
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