Macabros 094: Todesruf der schwarzen Hexe
man dagegenfiel.
Lilos Stöckelabsätze verursachten lautes Hallen in dem
langen, düsteren Korridor.
Links und rechts neben den Sandsteinstufen, die in den Flur
führten, mündeten zwei dunkelbraun gestrichene Türen.
Auf der linken stand mit roter Farbe das Wort »Bar«, auf
der rechten »Privat«.
Jenseits beider Türen herrschte Betrieb. Man hörte
Stimmen, Musik, Lachen, Gläserklirren…
Das Paar ging über die Treppe nach oben.
In der ersten Etage öffnete sich eine der hinteren Türen
und eine platinblonde, jugendliche Gunstgewerblerin tauchte auf, an
deren Seite ein älterer, seriös wirkender Herr mit grauem
Haar, gepflegt gekleidet, schritt.
Lilos Apartment lag in der vierten Etage. Sumo hätte am
liebsten den Lift benutzt, doch der war schon seit drei Wochen
defekt. Der Hauswirt hatte zwar versprochen, die Reparatur
durchführen zu lassen, aber bisher war es auch bei diesem
Versprechen geblieben.
Lilos Apartment bestand aus einem winzigen Bad, einer Küche,
die sehr geräumig war und in der deshalb hinter einem
geblümten Vorhang versteckt ein Notbett stehen konnte, und einem
großen Zimmer, in dem ein breites Bett dominierend war. Moderne
Möbel, hell und freundlich, bestimmten die Einrichtung. Bilder,
die romantische Landschaften zeigten, hingen an den Wänden. Auf
den hellen Regalen standen Nippsachen und Stofftiere.
Links neben dem Fenster war eine wohlbestückte Bar.
Sumo bediente sich sofort nach dem Eintritt, während Lilo als
erstes damit befaßt war, die unbequemen Schuhe abzustreifen und
sich aufs Bett zu werfen.
Sumo brachte auch ihr einen gut gekühlten Kognak, den sie mit
einem einzigen Schluck hinunterspülte.
»Und nun schieß mal los, Zeitungsboy.«
Der Pakistani ließ sich neben ihr auf das Bett nieder. Lilos
knapper Rock war weit in die Höhe gerutscht. Ihre nackten
Schenkel schimmerten alabasterfarben.
»Vor meinen Füßen ist ein Mann
gestorben.«
»Und?« drängelte sie, als sein Erzähltempo ihr
mißfiel.
Er rutschte vom Bett herunter, hielt das leere Glas in der Hand,
während er nervös auf und ab ging.
»Hast du etwas damit zu tun, Zeitungsboy? Also doch Polente,
wie? Haben sie deine Personalien aufgenommen?«
»Nein, nein«, winkte er ab und erzählte dann
ziemlich umständlich den Vorfall, der sich ereignet hatte.
Die Augen der Liebesdienerin wurden größer. »Er
ist vor deinen Augen – verschwunden?« wiederholte sie seine
letzten Worte. »Und das hat – außer dir – kein
Mensch beobachtet?«
»Das ist es ja, was mich dauernd so beschäftigt.
Scheinbar nicht… keiner hat sich jedenfalls um den Toten
gekümmert.«
»Aber auf der Straße herrschte Verkehr?«
»Ja… es ging allerdings alles sehr schnell. Kaum hatte
er den Boden berührt, da löste er sich auch schon in
schwarzem Nebel auf…«
Die Frau schüttelte sich. »Mir läuft’s eiskalt
über den Rücken. Schenk’ mir noch mal ein,
Zeitungsboy…«
»Du bist dann also noch mal zurückgegangen«, fuhr
sie fort, als sie das reichlich eingeschenkte Glas in Händen
hielt.
»Und dann hab’ ich das hier gefunden. Sieht aus wie
– ein Totem oder Talisman oder Tiki…«
Sumo reichte ihr die kleine schwarze Statue. Das Gesicht in dem
flachen Stein war reliefartig herausgehoben, ebenso der weibliche
Körper.
»Ziemlich leicht. Und was soll das, sein? Tiki – was ist
denn das?«
»Ein dämonisierter Gegenstand,… die Abbildung eines
Götzen. Von ihm geht Unglück und Tod aus…«
»Unsinn«, stieß Lilo hervor. Aber sie war
blaß unter ihrem Make-up und die Geschichte, die Sumo ihr
erzählt hatte, war ihr unter die Haut gegangen. »Du hast
geträumt…«
»Nein. Ist die Statue – ein Traum? Fühlst du sie
nicht?«
»Doch! Sie fühlt sich ziemlich heiß an, wie ein
Ziegel, der den ganzen Tag über in der Sonne gelegen
hat…« Sie grinste. Der Pakistani aber verzog keine
Miene.
Die Gunstgewerblerin zuckte die Achseln. »Mich verwirrt, was
du im Zusammenhang mit den Leuten gesagt hast, Zeitungsboy. Dich und
den anderen haben sie gesehen, aber keiner ist dazugekommen, um sich
um den anderen zu kümmern…«
Sumo atmete tief durch. »Ich kann es mir nur so
erklären, daß keiner das Ereignis bewußt mitgekriegt
hat. Die Leute laufen mit offenen Augen vorbei, ohne einen zu
sehen…«
Lilo drehte die schwarze Figur mit den hervortretenden weiblichen
Merkmalen in ihren Händen und betrachtete sie immer wieder.
»Wenn man sie sich genau ansieht, Zeitungsboy, dann erkennt man
die negroiden Züge.
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